Die Sächsische
Polizei steigert sich in einen gefährlichen Trend:
Zivilgesellschaftliche Akteure vertrauen ihr immer weniger. Dafür
ist sie nur zum Teil selbst verantwortlich, aber ein Gegensteuern ist
weder bei den politischen Verantwortlichen, noch bei der Polizei
selbst erkennbar. (Etwa 10 Seiten. Hier geht‘s zur Kurzversion.)
Der
Nobelpreisträger Douglass North beschäftigt sich mit nichts
anderem, als der Mechanismen, wie Gewalt in modernen Gesellschaften
vermieden wird. Ein an Gesetze gebundenes und alle gleich
betreffendes Gewaltmonopol und Rechtssystem des Staates ist ein
wesentliches Unterscheidungsmerkmal von modernen Demokratien
gegenüber anderen Gesellschaftsformen.
Mit den Worten des Sächsischen Polizeiinspekteurs klingt das so: „Polizisten
haben das Recht und die Pflicht, Gewalt anzuwenden, um das Wohl der
Menschen zu schützen.“
Dieses System
funktioniert aber nur dann, wenn die überwiegende Mehrheit der
Bevölkerung auch daran glaubt. Dieses Grundvertrauen wird jedoch in
Sachsen immer wieder erschüttert. Die drohenden, massiven
Konsequenzen sind jetzt schon erahnbar: Mehr Gewalt und die Nutzung
krimineller Methoden in der politischen Auseinandersetzung.
Insbesondere
Menschen am vermeintlichen Rand der Mehrheitsgesellschaft –Linke,
Obdachlose, vermeintliche und tatsächliche Ausländer usw. –
werden zu potentiellen Opfern gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Für sie ist es am wichtigsten, dass das Gewaltmonopol nicht
zerbröselt.
Es muss vor der
Polizei dabei völlig unwichtig sein, ob jemand links oder rechts,
jung oder alt, klug oder dumm ist. Menschen akzeptieren die Polizei
so lang als „Ordnungshüter“, wie jeder von den gleichen
Einschränkungen betroffen ist.
Das Vertrauen in
die sächsische Polizei erodiert an verschiedenen Berührungspunkten
immer stärker und beginnt selbst bei bürgerlichen Menschen zu
bröckeln. In diesem Blogpost soll gezeigt werden, wo und wie das
passiert (erster Abschnitt), warum es (besonders in Sachsen) passiert
(zweiter Abschnitt), was dagegen unternommen werden kann (dritter
Abschnitt) und was die Entscheidungsträger entscheiden müssen
(letzter Abschnitt).
*[Disclaimer:
Leider muss dieser Text fast komplett anekdotisch bleiben, da kein
sächsischer Polizist bereit war, offen und on the Record mit mir zu
sprechen. Entsprechend wurde einiges so weit verfälscht, dass eine
Rückverfolgung zur Quelle schwierig ist. In einigen Fällen war ich
oder andere WarumDresden-Macher an den Ereignissen aktiv beteiligt,
da wir uns regelmäßig ehrenamtlich engagieren.
Dieser
Blogbeitrag soll von vornherein keine Fundamentalkritik sein, sondern
die Polizei und die Rechtsordnung innerhalb ihrer eigenen Logik
betrachten. Oft dürfte der eigentliche Adressat der Kritik auch die
Versammlungsbehörde sein. Hier präzise zu differenzieren, würde
den Rahmen allerdings komplett sprengen.
Wir möchten zu
jeder Kritik ermuntern und darauf hinweisen, dass der Blog auch
regelmäßig von Polizeibeamten gelesen wird. Äußerungen, die
strafrechtlich relevant sein könnten, sind daher im Kontaktformular
möglicherweise besser aufgehoben, als in den Kommentaren.]
Wo und wie scheitert die Polizei am Schutz der Grundrechte?
Die Polizei
scheitert in allererster Linie auf Demonstrationen und anderen
Lagen, die den Einsatz von geschlossenen Einheiten
(Bereitschaftspolizei) erfordern. Das liegt auch daran, dass im
letzten Jahr unzählige Bürger erstmals und dann immer wieder mit
diesen „Robocops“ konfrontiert waren, die nicht dem „normalen“
Bild vom Freund und Helfer entsprachen. Stattdessen tritt die
Bereitschaftspolizei oft gepanzert, maskiert, behelmt, komplett in
schwarz, und augenscheinlich bis an die Zähne bewaffnet auf. Zudem
eignet sich auch deren Verhalten dazu, das Vertrauen in die
Institution Polizei zu schwächen. Im Folgenden sind einige Beispiele
herausgegriffen, die stellvertretend für zahlreiche andere stehen.
Demonstrationen
spielen deswegen so eine entscheidende Rolle, weil hier Bürger immer
wieder auf die Polizei treffen. Sie werden dabei auch polizeilichen
Maßnahmen ausgesetzt, die sie dann bewerten. Das wäre nicht weiter
gefährlich, wenn bei vielen engagierten Demonstrierenden der
Eindruck zurückbleiben würde, dass die Polizei sie schützt und
neutral Recht und Ordnung durchsetzt.
Dieser Eindruck
entsteht aber weder bei PEGIDA noch bei den Gegenveranstaltungen. Der
fundamentale Unterschied ist: PEGIDA nimmt die Polizei als Mittel zur
Interessendurchsetzung wahr. Polizisten werden allein durch den Dank,
den sie bei jeder Veranstaltung von der Bühne erfahren, in die
rechte Ecke gestellt.
Für
Gegendemonstranten sieht es regelmäßig so aus: Bei PEGIDA werden so
gut wie nie auch nur ansatzweise die Demoauflagen durchgesetzt,
während linke Demonstranten im Voraus aufgrund eines mitgeführten
Kleidungsstückes kontrolliert werden. In das Versammlungsrecht der
Gegendemonstrationen wird immer wieder eingegriffen, vorgeblich um
Straftaten zu verhindern, augenscheinlich aber völlig willkürlich.
Wenn zum Beispiel
der Sprechchor „Solidarität muss praktisch werden, Feuer und
Flamme den Abschiebebehörden“ zu einer polizeilichen Maßnahme
führt und diese nicht einmal vorher angekündigt wird. „Maßnahme“
meint hier im Polizeisprech: Beamte haben sich in die Demo gedrängt
um einzelne Personen mittels einfacher körperlicher Gewalt
herauszuziehen um deren Personalien festzustellen.
Hunderte
Demonstranten haben wiederholte Male erlebt, wie gewaltsuchende
PEGIDA-Anhänger nicht von der Polizei gehindert wurden, in den
Veranstaltungsraum zu gelangen. Postenketten der Polizei richteten
sich zum Beispiel am 19.10.2015 immer wieder zu Gegenveranstaltungen
aus, während sich hinter ihnen Nazihools sammelten und dann ohne
daran gehindert zu werden, auf Gegendemonstranten los gingen.
Vom gleichen Tag
existieren Videoaufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie Nazihools
Polizisten körperlich angehen und diese zurückweichen. Auch hier
entstand ein katastrophaler Eindruck, was die Neutralität und
Aufgabenerfüllung der Polizei anging. Insbesondere, da im Vorfeld
eine angemeldete Veranstaltung mehrfach durch die Hools angegriffen
und nicht von der Polizei geschützt worden war.
In einem
ähnlichen Kontext muss auch der Bericht einer Frau gelesen werden,
deren Kind bei der Herz statt Hetze Veranstaltung am 06.02.2016 auf
dem Theaterplatz vor den Augen der Polizei geschlagen wurde. Die
anwesenden Beamten wurden von mehreren Personen zum Eingreifen
gedrängt, weigerten sich jedoch lange standhaft. Im Endeffekt
schützen sie weder Mutter noch Kind vor dem Angreifer und entfernten
diesen auch nicht aus dem Demogeschehen.
Ein weiteres
Beispiel ist der Schlag eines Polizisten gegen einen
nicht-gewalttätigen, bereits in Gewahrsam befindlichen
Gegendemonstranten am 23.02.2015 in Chemnitz. (Weil es auf dem Video auch mit drauf ist: Pressegesetz ist eindeutig. Niemand kann jemandem absprechen, zur Presse zu gehören. Kein Journalistenverband und erst recht keine staatliche Stelle. Für Rechte im Sinne des Pressegesetzes braucht es keinen Presseausweis.)
Allein das
Auftreten der Polizei Sachsen führt inzwischen selbst bei
Professoren ingenieurwissenschaftlicher Fakultäten zu Aussagen wie
dieser: „Wir standen da halt rum und haben zu [der rechten Demo]
rüber geschaut. Der Wasserwerfer kam um die Ecke und zielte sofort
direkt auf uns. Ich hätte am liebsten einen Stein genommen und
geworfen.“
Auch der
Polizeieinsatz in Clausnitz am 18.02.2016 reiht sich ein: Ein Bus,
der Geflüchtete in ihr Wohnheim bringen soll, wird von etwa 100
Personen blockiert. Die Polizei zieht mehrere
Streifenwagenbesatzungen und eine Einsatzgruppe (6 Beamte) der
Bundespolizei zusammen. Ihnen gelingt es nicht, die Störer zu
entfernen, auf Platzverweise reagiert die Menge mit höhnischem
Gelächter. Der Bus wird mit Parolen eingedeckt, Gegenstände fliegen
gegen die Scheiben. Die Polizei entscheidet sich, die Geflüchteten
in das Haus zu bringen. Zur Durchsetzung wendet sie unmittelbaren
Zwang, also Gewalt gegen zwei Kinder und eine Frau an. Die illegale
Versammlung wird nicht Ziel polizeilicher Maßnahmen.
Die Begründung
lautet oft und auch in diesem Fall: Straftaten werden beobachtet,
dokumentiert und im Nachgang zur Anzeige gebracht, wenn sich die
Täter ermitteln lassen. Dies klingt, insbesondere mit Blick auf das
Versammlungsrecht sehr gut: So lange keine Gefahr besteht, greift die
Polizei nicht in dieses Grundrecht ein, sondern filmt Straftaten nur,
ermittelt die Täter und diese erhalten nach einigen Wochen einen
Brief von der Staatsanwaltschaft. Eine sehr deeskalierende Strategie.
Allerdings bleiben auch hier Zweifel: Bereits am 19.02.2011 kommt es
durch Dutzende Neonazis zum Angriff auf das Dresdner Wohnprojekt
„Praxis“. Polizisten stehen daneben und regeln den Verkehr. Dass
sie nicht eingreifen, ist für Beobachter nicht verständlich.
Im Jahr 2016
kommt es zum Prozess gegen vier Beteiligte Neonazis. Ihnen kann keine
Straftat nachgewiesen werden. Laut Prozessbeobachtern hat der einzige
Zeuge der Anklage – ein Kriminalpolizist – entscheidenden Anteil
daran. Er ist nicht vorbereitet und kann die Beweisführung der
Staatsanwaltschaft nicht stützen. Die Beschuldigten lebten
unbehelligt bis zu diesem Tag ihr Leben weiter.
Im Zusammenhang
mit den Gegenprotesten am 19.02.2011 gab es allerdings auch einige
Verfahren. Um diese zu unterstützen, durchsuchten Sächsische
SEK-Beamte Parteibüros, Anwaltskanzleien und eine Junge Gemeinde in
Thüringen(!!!). Der beschuldigte Pfarrer wird im letzten Fall frei
gesprochen, weil die ermittelnden Beamten Videomaterial unterschlagen
hatten, dass diesen entlastet.
Die Dramatik der
Ereignisse liegt allerdings in den kleinen Ereignissen der letzten
Monate, die Zeigen, wie stark das Vertrauen in die Polizei erschüttert ist und wie viele Grundrechte nicht mehr verwirklicht werden.
Wenn im Angesicht der Polizei eine ältere Dame (sie stand am
19.10. zufällig neben mir) bereits vor Beginn einer Demonstration
sagt: „Ich will nicht mehr, ich geh nach Hause.“, dann ist ein
Grundrecht eklatant verletzt und das Grundgesetz quasi außer Kraft.
Wenn der Sprecher
der Polizeidirektion Dresden danach gegenüber Reportern von
Straßengezwitscher äußert, dass die Gegendemonstranten selbst
Schuld daran trügen, dass sie angegriffen werden (sie haben ihre
Demos schließlich mit Absicht um PEGIDA herum angemeldet), dann
fragt man sich außerdem, ob dieser Mann schon mal was von
Versammlungsfreiheit gehört hat, oder vom Grundgesetz.
Das Grundgesetz
ist außer Kraft, wenn die Leipziger Internetzeitung ihre
Berichterstattung von LEGIDA einstellt, weil sie von der Polizei
nicht geschützt wird und das eine Woche, nachdem ein Video
öffentlich wird, auf dem ein L-IZ-Reporter unprovoziert von einem
Polizisten angegriffen wird. Auch wenn es „nur“ die
Pressefreiheit ist: Grundrechte sind unteilbar. Verletzt man eines,
verletzt man sie alle.
Oder, wenn in
Clausnitz „einfacher unmittelbarer Zwang“ gegen Personen
angewandt wird, die minderjährig sind, nicht gewalttätig sind, seit
mehreren Stunden wehrlos in einem Bus sitzen, der von den
tatsächlichen Störern belagert wird. Hier musste Recht vor Unrecht
weichen und die Würde der Opfer wurde verletzt.
Zusammenfassend:
Wenn sogar relativ unpolitische Bürger, egal welcher Couleur den
Eindruck gewinnen, dass die Polizei auf der Seite von PEGIDA steht;
wenn Parteifunktionäre bürgerlicher Parteien der Polizei nicht mehr vertrauen, ihre
Aufgabe im Rechtsstaat wahrzunehmen, dann ist die Polizei nicht mehr
neutral. Sie wird zum Akteur, ob sie das will oder nicht. So kann sie
ihre Aufgabe im modernen Rechtsstaat nicht mehr wahrnehmen.
Warum scheitert die Polizei?
Immer wieder wird
der Polizei einfach vorgeworfen, sie wäre halt rechts. Das
unterstellt der Polizei einen gemeinsamen Willen, an den sich alle
gleichzeitig gleichermaßen halten. Der Vorwurf ist etwa so absurd,
wie der einer Weltverschwörung. Tatsächlich wirken sich
psychologische Prozesse bei einzelnen und Gruppen von Polizisten aus,
selbst wenn sie ihre Aufgaben perfekt erfüllen wollen. Auch rein
materielle Realitäten schränken die Polizei in ihrer
Handlungsfreiheit oft so ein, dass sie nur „falsch“ agieren kann.
Zuletzt wird besonders von linker Seite gern eine latente
Feindlichkeit in jede Polizeihandlung hineininterpretiert. Das trifft
sicher manchmal zu, aber verdeckt den Blick auf Ursachenforschung und
Fehlerbehebung.
Ein Beispiel für
das Interpretationsphänomen ist der schon erwähnten Schlag in
Chemnitz. Im Video ist deutlich zu erkennen, wie die Person in
Gewahrsam sich aufrichten will. Die beiden Polizisten hatten ihren
Transportgriff vor einigen Treppenstufen gelockert, was diese
Bewegung ermöglicht und vermutlich auch ermutigt hat. Zuerst
versucht der später schlagende Beamte, den Demonstranten wieder
herunter zu drücken. Als dies nicht gelingt, schlägt er einmal zu. Nachtrag: Inzwischen mussten wir unsere Bewertung hier ändern. Offenbar wäre es sehr einfach gewesen, diese Situation zu verhindern.
Das sieht brutal
aus, aber ein Berliner Polizist sagte mir, dass manchmal ein Schlag
deutlich weniger Verletzungsrisiko beinhaltet, als die Person in die
gewünschte Haltung zu hebeln. Der Eindruck für Beobachter ist
jedoch verheerend. Wieder mit den Worten des Sächsischen
Polizeiinspekteurs: „Bilder von einfachem unmittelbarem Zwang
können niemals schön aussehen, sind aber in gewissen Situationen
notwendig.“
Ein anderes
Beispiel bietet der 19.10.2015: Ein Nazihool geht einen Polizisten
an, er stößt ihn, schubst ihn leicht. Durch verschiedene Videos kann jedoch rekonstruiert werden, dass der Hool vom
Polizisten vorher ohne Maßnahme und Rechtsgrundlage geschlagen
worden war. Er geht sofort auf den Beamten zu und verlangt dessen
Dienstnummer. Die Einsatzgruppe verhindert das, indem sie den Beamten
abschirmt und sich dann selbst zurückzieht.
Was wie Kneifen
vor rechter Gewalt aussieht ist die Vertuschung eines Fehlers, aber
auch die Verhinderung einer weiteren Eskalation auf einem Straßenzug
voller Hools, in den man vorher ohne Ankündigung aber mit
Gewaltanwendung hineingestürmt war. (Der Einwand, dass ein linker
Demonstrant sich vermutlich trotzdem eine gefangen hätte, ist wohl
trotzdem richtig.)
Die Polizei teilt
diese Interpretationen aber nicht mit. Stattdessen versucht sie die
Ereignisse totzuschweigen, redet sie sich schön oder geht zum
Gegenangriff über. Woran liegt das?
Es mangelt der
Sächsischen Polizei an Fehlerkultur. Ein Kriminalpolizist, mit dem
ich über den 19.10. sprach und den ich auf die Aussagen des
Pressesprechers der Polizeidirektion Dresden hinwies, antwortete:
„Natürlich sagen die, dass es keine Angriffe gab, obwohl es
hunderte Zeugen gibt. Wenn es Angriffe gab, dann hat die
Lagertrennung nicht funktioniert. Wenn die das zugeben, dann müssen
sie gehen.“
Das Gespräch selbst ist schon nicht überprüfbar und ich weiß nicht, ob es wahr ist. Es zeigt
aber, was in der Polizei für ein Klima herrscht: Man glaubt, dass
man für Fehler oder auch nur das Zugeben von Fehlern massiv bestraft
wird. Stattdessen biegt man die Wahrheit so zurecht, dass die
zahlreichen Zeugen sich verhöhnt vorkommen müssen.
Bei Clausnitz das
gleiche: „An dem Einsatz gibt es nichts zu rütteln.“ Das ist
falsch. Der Einsatz hinterließ einen katastrophalen Eindruck von der
Neutralität der Polizei. Schon allein deshalb und weil ein völlig
verängstigtes Kind, das nichts für seine Situation kann, dann auch
noch von Polizisten angegriffen wird, sollte man an dem Einsatz
rütteln.
Es gibt etwas,
das viele der beschriebenen Fälle gemeinsam haben: Es gab vorher
keine Ankündigung der polizeilichen Maßnahme (zumindest ist sie nie mit dokumentiert). Im Endeffekt sieht
der Bürger Schwarz gekleidete, bewaffnete und gepanzerte Schläger,
die willkürlich Gewalt anwenden. Auch im Nachhinein kann man nicht
erfahren, warum Maßnahmen durchgeführt wurden: Die Pressesprecher
unterstellen, man wolle Einsatztaktik ergründen und verweigern die
Antwort.
Wenn man das
Pressegesetz danach absucht, welche Antworten verweigert werden
dürfen, findet man das Wort Einsatztaktik allerdings nicht.
Nach den eher
weichen Erklärungsansätzen kommen wir zu den harten: Die Polizei
hat die Grundrechte nicht geschützt, weil die polizeilichen
Maßnahmen gar nicht geeignet waren, dies zu erreichen. Die Maßnahmen
werden aufgrund von Fehlern in der Entscheidungsfindung trotzdem
angewandt. Die Fehlerquelle, die am meisten unterstellt wird, ist,
dass die Polizei selber rechts ist. Daher ergreift sie Maßnahmen,
die nicht zu rechtsstaatlichen Zielen führen, sondern zur
Durchsetzung rechter politischer Interessen.
Da mag
strukturell was dran sein. Fachleute – also Soziologen und
Kriminalisten – äußern immer wieder, dass ein eher autoritärer
Persönlichkeitstyp sich von der Polizei als Arbeitgeber angezogen
fühlt. Trotzdem will ich hier nicht stehenbleiben, aus zwei Gründen:
Erstens verdeckt es den Blick auf Fehlerquellen, die man politisch
verändern kann. Zweitens gibt es auch linke Polizisten. Und
Polizisten die idealistisch für die Rechte aller eintreten. Für die
ist es zum Teil unerträglich, was für Fehler passieren. Bei
massiven, absichtlichen Rechtsverstößen, würden diese Menschen
nicht schweigen.
Welche Gründe
jenseits von absichtlicher Parteilichkeit gibt es dann? Ein Grund für
unangemessen harte Maßnahmen oder für das Ausbleiben nötiger
Maßnahmen ist Verunsicherung. Polizisten sind zwar recht gut
ausgebildet, aber sich einer Demonstration gegenüber zu sehen, von
der man nicht weiß, ob sie gewalttätig wird, stresst. Rechnet man
mit diesem Angriff, nimmt man die Menge nicht mehr als einzelne
Bürger wahr, von denen einige Straftäter sind. Es werden alle
mitschuldig. Man muss nur zwei oder drei Mal so einen Gewaltausbruch
erleben, um misstrauisch zu werden.
Verunsichert sind
Sächsische Polizisten aber auch, weil ihre Einsatzleitung schlecht
ist. Die Umschreibungen von Beamten anderer Bundesländer
(einschließlich Bundespolizei) gehen dabei von „schwach“, über
„ungenügend“ bis „dilettantisch“.
Einsatzbefehle
für Großlagen sind normalerweise etwa im Taschenbuchformat. 20
Seiten sollten sie schon haben, um alle wesentlichen Informationen zu
enthalten. Welche Einheit steht wo, was genau soll sie dort machen,
wie fügt sich das in die Gesamttaktik ein, wer steht links und
rechts, welche Unterstützung ist erwartbar, welches Verhalten wird
von den Demonstrationsteilnehmern erwartet, usw. usf.
„In Sachsen ist
das eher so auf Zuruf“, sagt einer meiner Gesprächspartner.
Schriftliche Befehle sind kurz, die Orientierung fällt schwer. Die Vorstellung orientierungslos in einer Großstadt zu stehen, in der auch politisch motivierte Straftäter unterwegs sind und nicht zu wissen, wo es sicher ist, oder was getan werden soll, ist für jeden bedrohlich.
Ein anderer
Aspekt der Verunsicherung ist die Ausbildung von Feindbildern.
Polizisten haben mit dem Bürger meistens nur dann zu tun, wenn
dieser Straftaten begeht. Automatisch schleicht sich eine Sichtweise
auf „den polizeilichen Gegenüber“ ein, die ihn nur noch als
potentiellen Straftäter wahrnimmt, nicht als Bürger mit dem Recht
auf ein von der Polizei erst mal ungestörtes Leben.
Wie krass das
passiert, wird deutlich, wenn man Polizisten mal zuhört, wenn sie
mit Bürgern sprechen. Wie schnell da ins „Du“ gerutscht wird:
„Hier kann man nicht einfach über die Schienen laufen! Hast du
Geld einstecken? Mach dich weg!“ war vor drei Tagen von einem
Bundespolizisten am Hauptbahnhof Dresden zu hören.
Hinzu kommt, dass
vielen Polizisten offenbar das Verständnis dafür fehlt, was ihr
Schutzgegenstand ist. Der Blick ins Grundgesetz Artikel 1 könnte da
helfen. Das Problem ist, dass Polizisten keine Volljuristen oder
Staatsrechtler sind. Sie haben einfach eine andere Aufgabe. (Obwohl
man vom Inspekteur der Sächsischen Polizei schon erwarten könnte,
dass er den Schutzgegenstand kennt, siehe oben.) Allzu oft gewinnt
man aber den Eindruck, dass es für Beamte wichtiger ist, zum
Beispiel eine Schiene zu verteidigen, als den Bürger als
gleichberechtigt zu behandeln. Der Gegenversuch, Polizisten
zuzurufen: „Mach dich weg!“ würde ziemlich sicher als
Beleidigung verfolgt werden. Aber hier darf es keine Sonderrechte für
die Beamten geben und gibt sie auch nicht.
In Sachsen werden
diese Umstände noch durch die Einsatzfrequenz verschärft. Sachsen
hat sieben Bereitschaftshundertschaften. Sind an einem Montag
Demonstrationen und Gegendemonstrationen in Dresden, Leipzig und
Chemnitz, wird es schwierig alle adäquat zu schützen. Werden zu
wenige Beamte eingesetzt, gleichen die diesen Mangel oft durch
größere Aggressivität aus. Die Hemmschwelle zum Einsatz von
Pfefferspray sinkt zum Beispiel deutlich.
Sind zu wenige
Einheiten da, können erschöpfte Beamte nicht ausgetauscht werden.
Straftäter werden nicht mehr in Gewahrsam genommen, insbesondere
größere Gruppen, weil dies erfordern würde, dass man dafür extra
Einsatzgruppen, -züge oder -hundertschaften abstellen muss, die der
Polizei dann zum Beispiel bei der Lagertrennung fehlen.
Eine geschlossene
Einheit sollte im Idealfall nämlich nur eine Aufgabe haben. Soll sie
mehrere gleichzeitig ausführen, muss sie sich entweder entscheiden
oder sich aufteilen. Dann ist es aber keine geschlossene Einheit
mehr, die Großlagen bewältigen kann. Das Bild würde dann eher den
Streifenpolizisten entsprechen, die die Praxis nicht geschützt haben
(und ehrlicherweise auch nicht hätten schützen können). Wenn
weniger Polizeieinheiten als „Aufgaben“ da sind, richten sich
Polizeimaßnahmen oft entlang des geringeren Widerstandes aus.
Warum zum
Beispiel am 19.10.2015 immer wieder kleine Gruppen von
Gegendemonstranten von der Polizei des Platzes verwiesen wurden oder
anderen Maßnahmen unterzogen wurden, ließ man die zahlenmäßig oft
stärkeren Gruppen von Nazihools oft gewähren. Wenn die Kraft nicht
ausreicht, eine Maßnahme gegen 100 Hools durchzuführen, dann
entfernt man deren potentielle Opfer halt vom Platz. So gelingt es,
Opfer zu schützen. Wird dies aber nicht kommuniziert, dann ist die
Wahrnehmung der Betroffenen eindeutig.
Das Problem wird
zusätzlich verschärft durch die geringe Bereitschaft anderer
Bundesländer, Sachsen zu unterstützen: Zum einen sind sie selbst
stark gefordert, zum anderen habe man das Gefühl „Die Sachsen
lassen einen ins Messer laufen. Wenn man in taktische Lagen gebracht
wird, die mit der aus dem Heimatbundesland mitgeführten Ausrüstung
nicht beherrschbar sind.“
Dazu kommen
nicht-politische Großveranstaltungen, Schutz von gefährdeten Einrichtungen (man denke
insbesondere an Einrichtungen für Asylbewerber), Demonstrationen an
anderen Tagen und Orten, Einsatzreserven für plötzliche Lagen, wie
in Clausnitz. Schnell wird klar, dass die Sächsische Polizei seit mehr als einem Jahr Woche
für Woche mehr Einsätze fährt, als sie bewältigen kann. (Das ist
jetzt reine Interpretation, weil dies natürlich von Verantwortlichen
kaum gesagt wird. Die Gewerkschaften sind da offener und sprechen
davon, dass die Beamten „kaum noch aus den Uniformen/Stiefeln raus“ kommen.)
Wie unter diesem
Druck eine sinnvolle Einsatzvorbereitung oder gar eine kritische
Bewertung vorangegangener Einsätze stattfindet, bleibt unklar (was
wiederum auch am Schweigen der Pressesprecher liegt).
Unter dem hohen
Druck gedeiht der Corpsgeist. Wenn man jeden Tag auf die Beamten der
eigenen Gruppe angewiesen ist, um heil nach Hause zu kommen, dann
zeigt man keinen von ihnen an. Disziplinarische Maßnahmen durch
Vorgesetzte, die die Motivation oder „Absitzstärke“ noch stärker
beeinträchtigen, werden unter diesen Umständen nur wiederwillig
angewandt. Zu hartes Vorgehen wird nicht sanktioniert. Es wird auch
mal weggeschaut, wenn man eigentlich eingreifen müsste.
Ein Kollege
berichtete zum Beispiel, dass vor seinen Augen ein Mensch am Rande
einer rechten Veranstaltung angegriffen wurde. Die Polizisten am
Rande drehten sich weg. Auch auf Aufforderungen reagierten sie nicht.
Erst als der Kollege seinen Presseausweis zückte und damit drohte,
alles zu filmen wurden sie widerwillig aktiv.
„Manchmal
entscheidet sich dann auch [ein Führer einer Einheit], eine
beschönigte Lage nach oben weiter zu geben. Einfach weil er bei
einer schwierigen Lage den Befehl bekommen würde, einzugreifen. Er
weiß genau, dass seine Beamten durch sind und physisch und psychisch
nicht mehr in der Lage, sauber zu arbeiten. Deswegen vermeidet er den
Befehl und lässt eine Gruppe Hools, die er des Platzes verweisen
könnte, laufen. Auch wenn die Aussehen, als wollten sie ‚Zecken
klatschen‘. Man hofft dann einfach, das nichts passiert.“, sagt
ein Sächsischer Beamter.
Dabei haben diese
Vorgesetzten als einzige die Möglichkeit, das Klima in „ihrer“
geschlossenen Einheit zu beeinflussen, einen anderen Berufsethos zu
etablieren, der über „Wir wollen heil nach Hause kommen“ hinaus
geht. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass nicht zu PEGIDA am Gruppenfahrzeug eine Deutschlandfahne hängt, oder wie in Bayern rechtsextreme Sticker. Als einzelner Beamter ist ein
aktives Einschreiten gegen eine gewisse Gruppendynamik schwierig,
besonders wenn der Vorgesetzte mitmacht.
In Sachsen sind
solche Fälle bisher selten gewesen. Gleichwohl finden hier immer
wieder dienstliche Informationen den Weg in rechte Netzwerke. Das
sind Taten, die einzelne begehen, die strafrechtlich relevant sind,
aber denen keine strukturelle Maßnahme mit totaler Sicherheit
vorbeugen kann.
Kurz
zusammengefasst: Selbst wenn man der Polizei die besten Intentionen
unterstellt, unterliegt sie Zwängen und Prozessen, die zu
denkwürdigen Resultaten führen. Zu nennen sind individuelle und
zahlenmäßige Überforderung, Desorientierung, das Einschleifen von
Feindbildern, der berühmte Corpsgeist, das Gefühl, sowieso nicht
erfolgreich agieren zu können. Eben wegen des Corpsgeistes und der
Affinität autoritärer Personen zum Polizeidienst haben geschlossene
Polizeieinheiten eine Schlagseite hin zum rechten politischen
Spektrum. Dass diese Einstellungen zu Handlungen werden, muss durch
Gegenstrategien verhindert werden.
Was muss getan werden, um diese Trend entgegen zu wirken?
Zum Einen kann
jede und jeder selbst etwas tun: Falls die Polizei nicht eingreift
oder falls man sonst irgendwie Zeuge einer Straftat wird, kann man
selbst Beweise sammeln und die direkt zur Staatsanwaltschaft bringen.
Insbesondere bei Straftaten durch Beamte ist dies sicher auch
sinnvoller, als der Weg zur nächsten Polizeiwache.
Weiter muss den
vorhersehbaren, psychologischen Prozessen der Gruppendynamik und des
Aufbaus von Vorurteilen entgegen gewirkt werden. Das muss ein aktiver
Prozess sein, denn einfach nur Regeln aufzustellen, die nicht immer
wieder verteidigt werden, führt zum Einschleifen von unakzeptablem
Verhalten.
Individuell ist
das schwierig und letztendlich ist es auch die Aufgabe „des
Dienstherrn“ hier Abhilfe zu schaffen. Verpflichtende Fortbildung,
interaktive Workshops müssen regelmäßig genutzt werden, um
Vorurteile abzubauen und das Verhalten zum „polizeilichen
Gegenüber“ wieder auf zivilisierte Füße zu stellen.
Es muss
Polizisten auch immer wieder klar gemacht werden, dass die Würde des
Menschen und all seine Grundrechte ein extrem hohes Gut sind. Jede
polizeiliche Maßnahme, die nicht unmittelbar lebensrettend ist, muss
sich daran messen lassen. Als ich einem Bundespolizisten gegenüber
das Konzept der Inneren Führung der Bundeswehr erwähnte, unterbrach
mich der Mann mit: „Die sind uns da um Längen voraus!“
Eine Bekannte
erwähnte mal, dass es in den ostdeutschen Bundesländern so gut wie
keine Fortbildungsinstitutionen zu Bürgerrechten gegenüber der
Polizei gibt. Alle Personen, die ich seitdem darauf angesprochen
haben, bestätigten mir, dass man dafür nach Niedersachsen oder
Nordrhein-Westfalen fahren muss. Die politische Bildung der Beamten
ist aber essentiell, für eine gesetzestreue, statt einer
regierungstreuen Polizei.
Wesentlich für
die Versicherung des Bürgers, es mit rechtmäßigen und nicht
willkürlichen Maßnahmen zu tun zu haben, ist ein hohes Maß an
Transparenz über polizeiliches Handeln. Ein Polizist muss mir immer
sagen können, mit welchem Zweck er welche Maßnahme macht und warum
er sich davon Erfolg verspricht. Greift er dabei in Grundrechte ein,
muss er mir auch erklären können, warum dies nötig ist.
Agiert eine
Polizeieinheit gegenüber mehreren Personen, muss auch hier
transparent sein, was diese Einheit darf, was ihre Standardprozeduren
sind. Im Zweifel muss der Einsatzleiter das auch im Voraus erklären.
Die Polizei Sachsen hat hier deutlich andere Prioritäten. Auch hier kann man die Niedersachsen lobend erwähnen, wenn man denn
will.
Polizeisprecher
geben zudem nur selten zu, wenn etwas schief geht. Alles andere als
offen Kommunikation von Fehlern verhöhnt aber die Opfer. Damit macht
man sich in den Augen der Opfer mit den Tätern gemein. Die Täter
fühlen sich legitimiert und ermutigt. Hier geht die Neutralität der
Polizei in den Augen der Bürger verloren.
Es wird keine
Regierung drüber stürzen, wenn ein Pressesprecher mal sagt: „Ja,
die Bilder haben mich auch erschreckt. Das sieht auf den ersten Blick
nach Fehlverhalten aus. Wir untersuchen das und werden Konsequenzen
für die eingesetzten Beamten und unsere Herangehensweise an solche
Situationen ziehen, falls da was dran ist.“ Das muss ein leitender
Beamter oder Innenminister auch aushalten un nicht das
Damoklesschwert einer Kündigung über den Beamten heben.
Letztendlich muss
es für Polizisten mehr Ansprechpartner geben als den eigenen
Vorgesetzten und den Polizeipfarrer. Regelmäßige Supervisionen sind
eine Möglichkeit, Ansprechpartner außerhalb der Kommandokette eine
weitere. Letztendlich sollte es auch eine politische Instanz geben,
an die sich Beamte wenden können, parallel zum Wehrbeauftragten des
Bundestages. Nur so können Fehlentwicklungen angesprochen werden,
ohne dass der Beamte Angst haben muss, Konsequenzen zu erleiden.
Verschärfende
Fehlentwicklungen müssen abgestellt werden: Dass Polizeischüler in
geschlossenen Einheiten eingesetzt werden, dass kaum ausgebildete
Wachpolizisten in brenzlige Situationen gebracht werden, dass immer
weniger Ausbildungszeit zur Verfügung steht, führt alles zu mehr
Eskalation.
Kurze
Zusammenfassung: Es braucht mehr Bildung für Polizisten, mehr
Ansprechpartner außerhalb der Kommandokette, mehr Transparenz für
polizeiliches Handeln vor, während und nach Einsätzen.
Was müssen Vorgesetzte und politische Verantwortungsträger jetzt tun?
Sie müssen sich
klar machen, dass rechtswidriges Verhalten, besonders Gewaltanwendung
kein Kavalliersdelikt sind. Sie müssen sich auch bewusst machen,
dass schon der Anschein vermieden werden muss, dass es sich um
willkürliche Maßnahmen handelt, besonders in politischen Kontexten.
Dies kann bei Einsätzen die „hässlich aussehen“ nur durch eine
offene Informationspolitik, die den Bürger in den Mittelpunkt
stellt, erreicht werden.
Die Polizei darf
nicht nur sagen „Vertrauen Sie uns.“ Sie muss klar sagen, warum.
Falls Polizei unrechtmäßig agierte, muss das kommuniziert werden
und Konsequenzen haben. Die Polizei darf zu sich selbst nicht weicher
sein, sie muss härter sein. Denn an Polizisten legt die Gesellschaft
zu recht höhere Maßstäbe an.
Das muss sich
auch im Selbstverständnis der Polizei Sachsen niederschlagen. Der
Anspruch „Wir sind neutral“ (zum Beispiel durch den Inspekteur
der Polizei Sachsen) reicht nicht aus um das Verhalten der Beamten so
zu beeinflussen, dass er auch Realität wird. Vielmehr muss die
Polizei auf den Schutz der Grundrechte eingeschworen werden.
Polizeibeamte haben einen Beruf, der von ihnen und ihrer Umgebung
Opfer verlangt. Es muss ihnen klar gemacht werden, wofür sie das
tun:
Damit jeder sich
frei entfalten kann und niemand von Nazis zusammengehauen wird, weil
die glauben, die Polizei fände das okay. Am Ende kann es nämlich
auch die eigenen Eltern treffen, die sich für Geflüchtete
engagieren, oder das eigene Kind, das eine zu extravagante Frisur
trägt. Denn die gleiche Freiheit wird nur durch eine Polizei
garantiert, die alle Rechte gemeinsam und für alle garantiert.
Das gilt für
jedes polizeiliche Handeln, denn heute kann überall eine Kamera sein
und am Ende entscheidet die Öffentlichkeit, ob sie der Polizei
vertraut, oder ob sie lieber Grundrechtseinschränkungen in Kauf
nimmt, oder gar das Recht in die eigene Hand.
Ein Kripobeamter
regte sich mir gegenüber über „die Linken“ auf, die Maßnahmen
gegen sich immer kritisieren würden, aber Maßnahmen gegen Rechte
ständig einfordern. Auf meine Nachfrage, ob er nicht froh sei, dass
sie noch Forderungen an die Polizei stellen, statt gleich
abzuwinken, brach der Beamte das Gespräch ab. Als wir es später
fortsetzten, gab er mir jedoch recht, insbesondere mit Blick auf
„linke Selbstjustiz“ und den „rechten Mob“.
Wenn ein
Einsatzgeschehen offensichtlich daran scheitert alle Grundrechte zu
schützen, dann muss das thematisiert werden. Man kann Fehler nicht
abstellen, ohne sie zuzugeben. Der erste Vorgesetzte, der nicht
versucht, Fehler abzustellen, muss bestraft werden. Wenn sich ein
Polizeichef, wie im Clausnitzer Fall vor die Presse stellt und sagt:
Hier gibt es nichts zu rütteln, dann muss er gehen.
Nach einem
Einsatz, den selbst viele Polizisten nur mit Kopfschütteln
kommentieren, muss auch gesagt werden: Wir gucken uns das an, wir
stellen die Fehler ab, das kommt nicht wieder vor.
Letztendlich
braucht die Polizei aber auch die Mittel, dies umzusetzen. Das heißt:
Mehr Beamte und mehr Ruhezeiten zwischen den Einsätzen für
Fortbildungen, Training, Einsatzvorbereitung und
Einsatznachbereitung. Auch wenn das für Linke schwer zu schlucken ist: Weniger Polizei wird noch brutaler agieren. Mehr Polizei sich mehr zivilisieren.
Will ein
Innenminister eine Polizei die Grundrechte schützt, dann muss er
gegen Fehlentwicklungen vorgehen. Wenn er jetzt zu wenige Beamte hat,
weil er sie jahrelang weggespart hat, dann muss er das zugeben.
Wenn Revierleiter behaupten, Willkommensfeste wären eine Provokation der Rechten
gewesen und würden daher nicht geschützt, und der Beamte im Dienst bleibt, muss dieser Innenminister gehen.
Wenn ein Polizeipräsident sagt, ein Einsatz, bei dem unmittelbarer
Zwang gegen verängstigte Kinder eingesetzt wurde, wäre gut
gelaufen, und der Beamte im Dienst bleibt, muss dieser Innenminister
gehen. Wenn ein Einsatzleiter einen Versammlungsleiter angeht, dass
die Forderung nach mehr Polizei bei ihm an der falschen Adresse ist,
dann muss der Innenminister das Problem lösen, oder er geht.
Wenn er der
Polizei suggeriert, sie kann ihre Aufgaben nicht bewältigen und deswegen den Einsatz der Bundeswehr im Inneren fordert, statt seine Polizei zu befähigen, dann muss er sich eins klar machen: Seine Aufgabe
ist der Schutz der Verfassung. So schützt er sie nicht und muss
gehen.
Jeder Polizist
muss wissen, dass der Schutz der Grundrechte gleich nach dem Schutz
von Leben seine oberste Pflicht ist und seinen körperlichen Einsatz
fordert. Vorgesetzte, die ihnen weniger durchgehen lassen, schaffen
letztendlich Raum für Selbstjustiz.
Zusammengefasst: Die Polizei braucht ein professionelles, ziviles Selbstbild, eine personelle Aufstockung und eine neue Führung nebst Innenminister.
Weiteres Beispiel in Leipzig wird am 12.12.15 auf eine friedliche Versammlung ohne erkennbaren noch tatsächlichen Grund Tränengas abgefeuert. Der Einsatz war weder geeignet noch verhältnismäßig und tangiert dabei gleich mehrere Grundrechte (Recht auf Körperliche Unversehrtheit, Versammlungsfreiheit usw.)
AntwortenLöschenhttps://www.youtube.com/watch?v=8hKzvdmtsT8
sehr guter Text. Danke
AntwortenLöschenBei dem Punkt der Überlastung durch fehlendes Personal sei angemerkt, dass im Verhältnis zu ähnlich großen (west-)Bundesländern ein um etwa 30% höheres Verhältnis von Beamten:Bevölkerung hat. (https://de.wikipedia.org/wiki/Polizei_Sachsen#Polizei_Sachsen_2020, es finden sich bestimmt auch exaktere Zahlen). Vielleicht sind die Sachsen ja besonders schwer zu kontrollieren ;)
AntwortenLöschenIch vermute eher, dass sich die Mängel in der polizeilichen Führung, eine schlechtere Aus- und Weiterbildung und die politische Instrumentalisierung als Machtinstrument der Regierung gegenseitig verstärken und negativ zusammen wirken.
Spannender Hinweis.
LöschenUnser Eintrag bezog sich ja fast ausschließlich auf Bereitschaftspolizei. Auch da finden sich aber ähnliche Verhältnisse. So hat NRW etwa eine Hundertschaft pro 1 Mio. Einwohner, Sachsen doppelt so viel.
Geht man allerdings nach Anzahl der abzusichernden Veranstaltungen, ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild, seit es PEGIDA gibt. Nach den Zahlen, die auf die Schnelle ermittelt werden konnten, deckte Berlin 2014 etwa 5000 Veranstaltungen mit 16 Hundertschaften ab. Sachsen hat 2014 2400 Veranstaltungen mit 7 Hundertschaften abgedeckt. 2015 dürfte sich die Lage deutlich zugespitzt haben.
Die "Einsatzdichte" der Bereitschaftspolizei ist in Sachsen demnach auch im Bundesvergleich sehr hoch.
Ganz gut zum einlesen ins Thema ist auch: http://www.bpb.de/apuz/30826/deutsche-laenderpolizeien?p=all