Freitag, 26. Februar 2016

Essay: Die Polizei schützt unsere Grundrechte nicht

Die Sächsische Polizei steigert sich in einen gefährlichen Trend: Zivilgesellschaftliche Akteure vertrauen ihr immer weniger. Dafür ist sie nur zum Teil selbst verantwortlich, aber ein Gegensteuern ist weder bei den politischen Verantwortlichen, noch bei der Polizei selbst erkennbar. (Etwa 10 Seiten. Hier geht‘s zur Kurzversion.)

Der Nobelpreisträger Douglass North beschäftigt sich mit nichts anderem, als der Mechanismen, wie Gewalt in modernen Gesellschaften vermieden wird. Ein an Gesetze gebundenes und alle gleich betreffendes Gewaltmonopol und Rechtssystem des Staates ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von modernen Demokratien gegenüber anderen Gesellschaftsformen.

Mit den Worten des Sächsischen Polizeiinspekteurs klingt das so: „Polizisten haben das Recht und die Pflicht, Gewalt anzuwenden, um das Wohl der Menschen zu schützen.“

Dieses System funktioniert aber nur dann, wenn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung auch daran glaubt. Dieses Grundvertrauen wird jedoch in Sachsen immer wieder erschüttert. Die drohenden, massiven Konsequenzen sind jetzt schon erahnbar: Mehr Gewalt und die Nutzung krimineller Methoden in der politischen Auseinandersetzung.

Insbesondere Menschen am vermeintlichen Rand der Mehrheitsgesellschaft –Linke, Obdachlose, vermeintliche und tatsächliche Ausländer usw. – werden zu potentiellen Opfern gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Für sie ist es am wichtigsten, dass das Gewaltmonopol nicht zerbröselt.

Es muss vor der Polizei dabei völlig unwichtig sein, ob jemand links oder rechts, jung oder alt, klug oder dumm ist. Menschen akzeptieren die Polizei so lang als „Ordnungshüter“, wie jeder von den gleichen Einschränkungen betroffen ist.

Das Vertrauen in die sächsische Polizei erodiert an verschiedenen Berührungspunkten immer stärker und beginnt selbst bei bürgerlichen Menschen zu bröckeln. In diesem Blogpost soll gezeigt werden, wo und wie das passiert (erster Abschnitt), warum es (besonders in Sachsen) passiert (zweiter Abschnitt), was dagegen unternommen werden kann (dritter Abschnitt) und was die Entscheidungsträger entscheiden müssen (letzter Abschnitt).


*[Disclaimer: Leider muss dieser Text fast komplett anekdotisch bleiben, da kein sächsischer Polizist bereit war, offen und on the Record mit mir zu sprechen. Entsprechend wurde einiges so weit verfälscht, dass eine Rückverfolgung zur Quelle schwierig ist. In einigen Fällen war ich oder andere WarumDresden-Macher an den Ereignissen aktiv beteiligt, da wir uns regelmäßig ehrenamtlich engagieren.

Dieser Blogbeitrag soll von vornherein keine Fundamentalkritik sein, sondern die Polizei und die Rechtsordnung innerhalb ihrer eigenen Logik betrachten. Oft dürfte der eigentliche Adressat der Kritik auch die Versammlungsbehörde sein. Hier präzise zu differenzieren, würde den Rahmen allerdings komplett sprengen.

Wir möchten zu jeder Kritik ermuntern und darauf hinweisen, dass der Blog auch regelmäßig von Polizeibeamten gelesen wird. Äußerungen, die strafrechtlich relevant sein könnten, sind daher im Kontaktformular möglicherweise besser aufgehoben, als in den Kommentaren.]


Wo und wie scheitert die Polizei am Schutz der Grundrechte?



Die Polizei scheitert in allererster Linie auf Demonstrationen und anderen Lagen, die den Einsatz von geschlossenen Einheiten (Bereitschaftspolizei) erfordern. Das liegt auch daran, dass im letzten Jahr unzählige Bürger erstmals und dann immer wieder mit diesen „Robocops“ konfrontiert waren, die nicht dem „normalen“ Bild vom Freund und Helfer entsprachen. Stattdessen tritt die Bereitschaftspolizei oft gepanzert, maskiert, behelmt, komplett in schwarz, und augenscheinlich bis an die Zähne bewaffnet auf. Zudem eignet sich auch deren Verhalten dazu, das Vertrauen in die Institution Polizei zu schwächen. Im Folgenden sind einige Beispiele herausgegriffen, die stellvertretend für zahlreiche andere stehen.

Demonstrationen spielen deswegen so eine entscheidende Rolle, weil hier Bürger immer wieder auf die Polizei treffen. Sie werden dabei auch polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt, die sie dann bewerten. Das wäre nicht weiter gefährlich, wenn bei vielen engagierten Demonstrierenden der Eindruck zurückbleiben würde, dass die Polizei sie schützt und neutral Recht und Ordnung durchsetzt.

Dieser Eindruck entsteht aber weder bei PEGIDA noch bei den Gegenveranstaltungen. Der fundamentale Unterschied ist: PEGIDA nimmt die Polizei als Mittel zur Interessendurchsetzung wahr. Polizisten werden allein durch den Dank, den sie bei jeder Veranstaltung von der Bühne erfahren, in die rechte Ecke gestellt.

Für Gegendemonstranten sieht es regelmäßig so aus: Bei PEGIDA werden so gut wie nie auch nur ansatzweise die Demoauflagen durchgesetzt, während linke Demonstranten im Voraus aufgrund eines mitgeführten Kleidungsstückes kontrolliert werden. In das Versammlungsrecht der Gegendemonstrationen wird immer wieder eingegriffen, vorgeblich um Straftaten zu verhindern, augenscheinlich aber völlig willkürlich.

Wenn zum Beispiel der Sprechchor „Solidarität muss praktisch werden, Feuer und Flamme den Abschiebebehörden“ zu einer polizeilichen Maßnahme führt und diese nicht einmal vorher angekündigt wird. „Maßnahme“ meint hier im Polizeisprech: Beamte haben sich in die Demo gedrängt um einzelne Personen mittels einfacher körperlicher Gewalt herauszuziehen um deren Personalien festzustellen.

Hunderte Demonstranten haben wiederholte Male erlebt, wie gewaltsuchende PEGIDA-Anhänger nicht von der Polizei gehindert wurden, in den Veranstaltungsraum zu gelangen. Postenketten der Polizei richteten sich zum Beispiel am 19.10.2015 immer wieder zu Gegenveranstaltungen aus, während sich hinter ihnen Nazihools sammelten und dann ohne daran gehindert zu werden, auf Gegendemonstranten los gingen

Vom gleichen Tag existieren Videoaufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie Nazihools Polizisten körperlich angehen und diese zurückweichen. Auch hier entstand ein katastrophaler Eindruck, was die Neutralität und Aufgabenerfüllung der Polizei anging. Insbesondere, da im Vorfeld eine angemeldete Veranstaltung mehrfach durch die Hools angegriffen und nicht von der Polizei geschützt worden war.

In einem ähnlichen Kontext muss auch der Bericht einer Frau gelesen werden, deren Kind bei der Herz statt Hetze Veranstaltung am 06.02.2016 auf dem Theaterplatz vor den Augen der Polizei geschlagen wurde. Die anwesenden Beamten wurden von mehreren Personen zum Eingreifen gedrängt, weigerten sich jedoch lange standhaft. Im Endeffekt schützen sie weder Mutter noch Kind vor dem Angreifer und entfernten diesen auch nicht aus dem Demogeschehen. 

Ein weiteres Beispiel ist der Schlag eines Polizisten gegen einen nicht-gewalttätigen, bereits in Gewahrsam befindlichen Gegendemonstranten am 23.02.2015 in Chemnitz. (Weil es auf dem Video auch mit drauf ist: Pressegesetz ist eindeutig. Niemand kann jemandem absprechen, zur Presse zu gehören. Kein Journalistenverband und erst recht keine staatliche Stelle. Für Rechte im Sinne des Pressegesetzes braucht es keinen Presseausweis.)

Allein das Auftreten der Polizei Sachsen führt inzwischen selbst bei Professoren ingenieurwissenschaftlicher Fakultäten zu Aussagen wie dieser: „Wir standen da halt rum und haben zu [der rechten Demo] rüber geschaut. Der Wasserwerfer kam um die Ecke und zielte sofort direkt auf uns. Ich hätte am liebsten einen Stein genommen und geworfen.“

Auch der Polizeieinsatz in Clausnitz am 18.02.2016 reiht sich ein: Ein Bus, der Geflüchtete in ihr Wohnheim bringen soll, wird von etwa 100 Personen blockiert. Die Polizei zieht mehrere Streifenwagenbesatzungen und eine Einsatzgruppe (6 Beamte) der Bundespolizei zusammen. Ihnen gelingt es nicht, die Störer zu entfernen, auf Platzverweise reagiert die Menge mit höhnischem Gelächter. Der Bus wird mit Parolen eingedeckt, Gegenstände fliegen gegen die Scheiben. Die Polizei entscheidet sich, die Geflüchteten in das Haus zu bringen. Zur Durchsetzung wendet sie unmittelbaren Zwang, also Gewalt gegen zwei Kinder und eine Frau an. Die illegale Versammlung wird nicht Ziel polizeilicher Maßnahmen.

Die Begründung lautet oft und auch in diesem Fall: Straftaten werden beobachtet, dokumentiert und im Nachgang zur Anzeige gebracht, wenn sich die Täter ermitteln lassen. Dies klingt, insbesondere mit Blick auf das Versammlungsrecht sehr gut: So lange keine Gefahr besteht, greift die Polizei nicht in dieses Grundrecht ein, sondern filmt Straftaten nur, ermittelt die Täter und diese erhalten nach einigen Wochen einen Brief von der Staatsanwaltschaft. Eine sehr deeskalierende Strategie. Allerdings bleiben auch hier Zweifel: Bereits am 19.02.2011 kommt es durch Dutzende Neonazis zum Angriff auf das Dresdner Wohnprojekt „Praxis“. Polizisten stehen daneben und regeln den Verkehr. Dass sie nicht eingreifen, ist für Beobachter nicht verständlich.

Im Jahr 2016 kommt es zum Prozess gegen vier Beteiligte Neonazis. Ihnen kann keine Straftat nachgewiesen werden. Laut Prozessbeobachtern hat der einzige Zeuge der Anklage – ein Kriminalpolizist – entscheidenden Anteil daran. Er ist nicht vorbereitet und kann die Beweisführung der Staatsanwaltschaft nicht stützen. Die Beschuldigten lebten unbehelligt bis zu diesem Tag ihr Leben weiter.

Im Zusammenhang mit den Gegenprotesten am 19.02.2011 gab es allerdings auch einige Verfahren. Um diese zu unterstützen, durchsuchten Sächsische SEK-Beamte Parteibüros, Anwaltskanzleien und eine Junge Gemeinde in Thüringen(!!!). Der beschuldigte Pfarrer wird im letzten Fall frei gesprochen, weil die ermittelnden Beamten Videomaterial unterschlagen hatten, dass diesen entlastet.

Die Dramatik der Ereignisse liegt allerdings in den kleinen Ereignissen der letzten Monate, die Zeigen, wie stark das Vertrauen in die Polizei erschüttert ist und wie viele Grundrechte nicht mehr verwirklicht werden. 
Wenn im Angesicht der Polizei eine ältere Dame (sie stand am 19.10. zufällig neben mir) bereits vor Beginn einer Demonstration sagt: „Ich will nicht mehr, ich geh nach Hause.“, dann ist ein Grundrecht eklatant verletzt und das Grundgesetz quasi außer Kraft.

Wenn der Sprecher der Polizeidirektion Dresden danach gegenüber Reportern von Straßengezwitscher äußert, dass die Gegendemonstranten selbst Schuld daran trügen, dass sie angegriffen werden (sie haben ihre Demos schließlich mit Absicht um PEGIDA herum angemeldet), dann fragt man sich außerdem, ob dieser Mann schon mal was von Versammlungsfreiheit gehört hat, oder vom Grundgesetz.

Das Grundgesetz ist außer Kraft, wenn die Leipziger Internetzeitung ihre Berichterstattung von LEGIDA einstellt, weil sie von der Polizei nicht geschützt wird und das eine Woche, nachdem ein Video öffentlich wird, auf dem ein L-IZ-Reporter unprovoziert von einem Polizisten angegriffen wird. Auch wenn es „nur“ die Pressefreiheit ist: Grundrechte sind unteilbar. Verletzt man eines, verletzt man sie alle.

Oder, wenn in Clausnitz „einfacher unmittelbarer Zwang“ gegen Personen angewandt wird, die minderjährig sind, nicht gewalttätig sind, seit mehreren Stunden wehrlos in einem Bus sitzen, der von den tatsächlichen Störern belagert wird. Hier musste Recht vor Unrecht weichen und die Würde der Opfer wurde verletzt.

Zusammenfassend: Wenn sogar relativ unpolitische Bürger, egal welcher Couleur den Eindruck gewinnen, dass die Polizei auf der Seite von PEGIDA steht; wenn Parteifunktionäre bürgerlicher Parteien der Polizei nicht mehr vertrauen, ihre Aufgabe im Rechtsstaat wahrzunehmen, dann ist die Polizei nicht mehr neutral. Sie wird zum Akteur, ob sie das will oder nicht. So kann sie ihre Aufgabe im modernen Rechtsstaat nicht mehr wahrnehmen. 

Warum scheitert die Polizei?



Immer wieder wird der Polizei einfach vorgeworfen, sie wäre halt rechts. Das unterstellt der Polizei einen gemeinsamen Willen, an den sich alle gleichzeitig gleichermaßen halten. Der Vorwurf ist etwa so absurd, wie der einer Weltverschwörung. Tatsächlich wirken sich psychologische Prozesse bei einzelnen und Gruppen von Polizisten aus, selbst wenn sie ihre Aufgaben perfekt erfüllen wollen. Auch rein materielle Realitäten schränken die Polizei in ihrer Handlungsfreiheit oft so ein, dass sie nur „falsch“ agieren kann. Zuletzt wird besonders von linker Seite gern eine latente Feindlichkeit in jede Polizeihandlung hineininterpretiert. Das trifft sicher manchmal zu, aber verdeckt den Blick auf Ursachenforschung und Fehlerbehebung.

Ein Beispiel für das Interpretationsphänomen ist der schon erwähnten Schlag in Chemnitz. Im Video ist deutlich zu erkennen, wie die Person in Gewahrsam sich aufrichten will. Die beiden Polizisten hatten ihren Transportgriff vor einigen Treppenstufen gelockert, was diese Bewegung ermöglicht und vermutlich auch ermutigt hat. Zuerst versucht der später schlagende Beamte, den Demonstranten wieder herunter zu drücken. Als dies nicht gelingt, schlägt er einmal zu. Nachtrag: Inzwischen mussten wir unsere Bewertung hier ändern. Offenbar wäre es sehr einfach gewesen, diese Situation zu verhindern.

Das sieht brutal aus, aber ein Berliner Polizist sagte mir, dass manchmal ein Schlag deutlich weniger Verletzungsrisiko beinhaltet, als die Person in die gewünschte Haltung zu hebeln. Der Eindruck für Beobachter ist jedoch verheerend. Wieder mit den Worten des Sächsischen Polizeiinspekteurs: „Bilder von einfachem unmittelbarem Zwang können niemals schön aussehen, sind aber in gewissen Situationen notwendig.“

Ein anderes Beispiel bietet der 19.10.2015: Ein Nazihool geht einen Polizisten an, er stößt ihn, schubst ihn leicht. Durch verschiedene Videos kann jedoch rekonstruiert werden, dass der Hool vom Polizisten vorher ohne Maßnahme und Rechtsgrundlage geschlagen worden war. Er geht sofort auf den Beamten zu und verlangt dessen Dienstnummer. Die Einsatzgruppe verhindert das, indem sie den Beamten abschirmt und sich dann selbst zurückzieht.

Was wie Kneifen vor rechter Gewalt aussieht ist die Vertuschung eines Fehlers, aber auch die Verhinderung einer weiteren Eskalation auf einem Straßenzug voller Hools, in den man vorher ohne Ankündigung aber mit Gewaltanwendung hineingestürmt war. (Der Einwand, dass ein linker Demonstrant sich vermutlich trotzdem eine gefangen hätte, ist wohl trotzdem richtig.)

Die Polizei teilt diese Interpretationen aber nicht mit. Stattdessen versucht sie die Ereignisse totzuschweigen, redet sie sich schön oder geht zum Gegenangriff über. Woran liegt das?

Es mangelt der Sächsischen Polizei an Fehlerkultur. Ein Kriminalpolizist, mit dem ich über den 19.10. sprach und den ich auf die Aussagen des Pressesprechers der Polizeidirektion Dresden hinwies, antwortete: „Natürlich sagen die, dass es keine Angriffe gab, obwohl es hunderte Zeugen gibt. Wenn es Angriffe gab, dann hat die Lagertrennung nicht funktioniert. Wenn die das zugeben, dann müssen sie gehen.“

Das Gespräch selbst ist schon nicht überprüfbar und ich weiß nicht, ob es wahr ist. Es zeigt aber, was in der Polizei für ein Klima herrscht: Man glaubt, dass man für Fehler oder auch nur das Zugeben von Fehlern massiv bestraft wird. Stattdessen biegt man die Wahrheit so zurecht, dass die zahlreichen Zeugen sich verhöhnt vorkommen müssen.

Bei Clausnitz das gleiche: „An dem Einsatz gibt es nichts zu rütteln.“ Das ist falsch. Der Einsatz hinterließ einen katastrophalen Eindruck von der Neutralität der Polizei. Schon allein deshalb und weil ein völlig verängstigtes Kind, das nichts für seine Situation kann, dann auch noch von Polizisten angegriffen wird, sollte man an dem Einsatz rütteln.

Es gibt etwas, das viele der beschriebenen Fälle gemeinsam haben: Es gab vorher keine Ankündigung der polizeilichen Maßnahme (zumindest ist sie nie mit dokumentiert). Im Endeffekt sieht der Bürger Schwarz gekleidete, bewaffnete und gepanzerte Schläger, die willkürlich Gewalt anwenden. Auch im Nachhinein kann man nicht erfahren, warum Maßnahmen durchgeführt wurden: Die Pressesprecher unterstellen, man wolle Einsatztaktik ergründen und verweigern die Antwort.

Wenn man das Pressegesetz danach absucht, welche Antworten verweigert werden dürfen, findet man das Wort Einsatztaktik allerdings nicht.

Nach den eher weichen Erklärungsansätzen kommen wir zu den harten: Die Polizei hat die Grundrechte nicht geschützt, weil die polizeilichen Maßnahmen gar nicht geeignet waren, dies zu erreichen. Die Maßnahmen werden aufgrund von Fehlern in der Entscheidungsfindung trotzdem angewandt. Die Fehlerquelle, die am meisten unterstellt wird, ist, dass die Polizei selber rechts ist. Daher ergreift sie Maßnahmen, die nicht zu rechtsstaatlichen Zielen führen, sondern zur Durchsetzung rechter politischer Interessen.

Da mag strukturell was dran sein. Fachleute – also Soziologen und Kriminalisten – äußern immer wieder, dass ein eher autoritärer Persönlichkeitstyp sich von der Polizei als Arbeitgeber angezogen fühlt. Trotzdem will ich hier nicht stehenbleiben, aus zwei Gründen: Erstens verdeckt es den Blick auf Fehlerquellen, die man politisch verändern kann. Zweitens gibt es auch linke Polizisten. Und Polizisten die idealistisch für die Rechte aller eintreten. Für die ist es zum Teil unerträglich, was für Fehler passieren. Bei massiven, absichtlichen Rechtsverstößen, würden diese Menschen nicht schweigen.

Welche Gründe jenseits von absichtlicher Parteilichkeit gibt es dann? Ein Grund für unangemessen harte Maßnahmen oder für das Ausbleiben nötiger Maßnahmen ist Verunsicherung. Polizisten sind zwar recht gut ausgebildet, aber sich einer Demonstration gegenüber zu sehen, von der man nicht weiß, ob sie gewalttätig wird, stresst. Rechnet man mit diesem Angriff, nimmt man die Menge nicht mehr als einzelne Bürger wahr, von denen einige Straftäter sind. Es werden alle mitschuldig. Man muss nur zwei oder drei Mal so einen Gewaltausbruch erleben, um misstrauisch zu werden.

Verunsichert sind Sächsische Polizisten aber auch, weil ihre Einsatzleitung schlecht ist. Die Umschreibungen von Beamten anderer Bundesländer (einschließlich Bundespolizei) gehen dabei von „schwach“, über „ungenügend“ bis „dilettantisch“.

Einsatzbefehle für Großlagen sind normalerweise etwa im Taschenbuchformat. 20 Seiten sollten sie schon haben, um alle wesentlichen Informationen zu enthalten. Welche Einheit steht wo, was genau soll sie dort machen, wie fügt sich das in die Gesamttaktik ein, wer steht links und rechts, welche Unterstützung ist erwartbar, welches Verhalten wird von den Demonstrationsteilnehmern erwartet, usw. usf.

„In Sachsen ist das eher so auf Zuruf“, sagt einer meiner Gesprächspartner. Schriftliche Befehle sind kurz, die Orientierung fällt schwer. Die Vorstellung orientierungslos in einer Großstadt zu stehen, in der auch politisch motivierte Straftäter unterwegs sind und nicht zu wissen, wo es sicher ist, oder was getan werden soll, ist für jeden bedrohlich.

Ein anderer Aspekt der Verunsicherung ist die Ausbildung von Feindbildern. Polizisten haben mit dem Bürger meistens nur dann zu tun, wenn dieser Straftaten begeht. Automatisch schleicht sich eine Sichtweise auf „den polizeilichen Gegenüber“ ein, die ihn nur noch als potentiellen Straftäter wahrnimmt, nicht als Bürger mit dem Recht auf ein von der Polizei erst mal ungestörtes Leben. 
Wie krass das passiert, wird deutlich, wenn man Polizisten mal zuhört, wenn sie mit Bürgern sprechen. Wie schnell da ins „Du“ gerutscht wird: „Hier kann man nicht einfach über die Schienen laufen! Hast du Geld einstecken? Mach dich weg!“ war vor drei Tagen von einem Bundespolizisten am Hauptbahnhof Dresden zu hören.

Hinzu kommt, dass vielen Polizisten offenbar das Verständnis dafür fehlt, was ihr Schutzgegenstand ist. Der Blick ins Grundgesetz Artikel 1 könnte da helfen. Das Problem ist, dass Polizisten keine Volljuristen oder Staatsrechtler sind. Sie haben einfach eine andere Aufgabe. (Obwohl man vom Inspekteur der Sächsischen Polizei schon erwarten könnte, dass er den Schutzgegenstand kennt, siehe oben.) Allzu oft gewinnt man aber den Eindruck, dass es für Beamte wichtiger ist, zum Beispiel eine Schiene zu verteidigen, als den Bürger als gleichberechtigt zu behandeln. Der Gegenversuch, Polizisten zuzurufen: „Mach dich weg!“ würde ziemlich sicher als Beleidigung verfolgt werden. Aber hier darf es keine Sonderrechte für die Beamten geben und gibt sie auch nicht.

In Sachsen werden diese Umstände noch durch die Einsatzfrequenz verschärft. Sachsen hat sieben Bereitschaftshundertschaften. Sind an einem Montag Demonstrationen und Gegendemonstrationen in Dresden, Leipzig und Chemnitz, wird es schwierig alle adäquat zu schützen. Werden zu wenige Beamte eingesetzt, gleichen die diesen Mangel oft durch größere Aggressivität aus. Die Hemmschwelle zum Einsatz von Pfefferspray sinkt zum Beispiel deutlich.

Sind zu wenige Einheiten da, können erschöpfte Beamte nicht ausgetauscht werden. Straftäter werden nicht mehr in Gewahrsam genommen, insbesondere größere Gruppen, weil dies erfordern würde, dass man dafür extra Einsatzgruppen, -züge oder -hundertschaften abstellen muss, die der Polizei dann zum Beispiel bei der Lagertrennung fehlen.

Eine geschlossene Einheit sollte im Idealfall nämlich nur eine Aufgabe haben. Soll sie mehrere gleichzeitig ausführen, muss sie sich entweder entscheiden oder sich aufteilen. Dann ist es aber keine geschlossene Einheit mehr, die Großlagen bewältigen kann. Das Bild würde dann eher den Streifenpolizisten entsprechen, die die Praxis nicht geschützt haben (und ehrlicherweise auch nicht hätten schützen können). Wenn weniger Polizeieinheiten als „Aufgaben“ da sind, richten sich Polizeimaßnahmen oft entlang des geringeren Widerstandes aus.

Warum zum Beispiel am 19.10.2015 immer wieder kleine Gruppen von Gegendemonstranten von der Polizei des Platzes verwiesen wurden oder anderen Maßnahmen unterzogen wurden, ließ man die zahlenmäßig oft stärkeren Gruppen von Nazihools oft gewähren. Wenn die Kraft nicht ausreicht, eine Maßnahme gegen 100 Hools durchzuführen, dann entfernt man deren potentielle Opfer halt vom Platz. So gelingt es, Opfer zu schützen. Wird dies aber nicht kommuniziert, dann ist die Wahrnehmung der Betroffenen eindeutig.

Das Problem wird zusätzlich verschärft durch die geringe Bereitschaft anderer Bundesländer, Sachsen zu unterstützen: Zum einen sind sie selbst stark gefordert, zum anderen habe man das Gefühl „Die Sachsen lassen einen ins Messer laufen. Wenn man in taktische Lagen gebracht wird, die mit der aus dem Heimatbundesland mitgeführten Ausrüstung nicht beherrschbar sind.“

Dazu kommen nicht-politische Großveranstaltungen, Schutz von gefährdeten Einrichtungen (man denke insbesondere an Einrichtungen für Asylbewerber), Demonstrationen an anderen Tagen und Orten, Einsatzreserven für plötzliche Lagen, wie in Clausnitz. Schnell wird klar, dass die Sächsische Polizei seit mehr als einem Jahr Woche für Woche mehr Einsätze fährt, als sie bewältigen kann. (Das ist jetzt reine Interpretation, weil dies natürlich von Verantwortlichen kaum gesagt wird. Die Gewerkschaften sind da offener und sprechen davon, dass die Beamten „kaum noch aus den Uniformen/Stiefeln raus“  kommen.)

Wie unter diesem Druck eine sinnvolle Einsatzvorbereitung oder gar eine kritische Bewertung vorangegangener Einsätze stattfindet, bleibt unklar (was wiederum auch am Schweigen der Pressesprecher liegt).

Unter dem hohen Druck gedeiht der Corpsgeist. Wenn man jeden Tag auf die Beamten der eigenen Gruppe angewiesen ist, um heil nach Hause zu kommen, dann zeigt man keinen von ihnen an. Disziplinarische Maßnahmen durch Vorgesetzte, die die Motivation oder „Absitzstärke“ noch stärker beeinträchtigen, werden unter diesen Umständen nur wiederwillig angewandt. Zu hartes Vorgehen wird nicht sanktioniert. Es wird auch mal weggeschaut, wenn man eigentlich eingreifen müsste.

Ein Kollege berichtete zum Beispiel, dass vor seinen Augen ein Mensch am Rande einer rechten Veranstaltung angegriffen wurde. Die Polizisten am Rande drehten sich weg. Auch auf Aufforderungen reagierten sie nicht. Erst als der Kollege seinen Presseausweis zückte und damit drohte, alles zu filmen wurden sie widerwillig aktiv.

„Manchmal entscheidet sich dann auch [ein Führer einer Einheit], eine beschönigte Lage nach oben weiter zu geben. Einfach weil er bei einer schwierigen Lage den Befehl bekommen würde, einzugreifen. Er weiß genau, dass seine Beamten durch sind und physisch und psychisch nicht mehr in der Lage, sauber zu arbeiten. Deswegen vermeidet er den Befehl und lässt eine Gruppe Hools, die er des Platzes verweisen könnte, laufen. Auch wenn die Aussehen, als wollten sie ‚Zecken klatschen‘. Man hofft dann einfach, das nichts passiert.“, sagt ein Sächsischer Beamter.

Dabei haben diese Vorgesetzten als einzige die Möglichkeit, das Klima in „ihrer“ geschlossenen Einheit zu beeinflussen, einen anderen Berufsethos zu etablieren, der über „Wir wollen heil nach Hause kommen“ hinaus geht. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass nicht zu PEGIDA am Gruppenfahrzeug eine Deutschlandfahne hängt, oder wie in Bayern rechtsextreme Sticker. Als einzelner Beamter ist ein aktives Einschreiten gegen eine gewisse Gruppendynamik schwierig, besonders wenn der Vorgesetzte mitmacht.

In Sachsen sind solche Fälle bisher selten gewesen. Gleichwohl finden hier immer wieder dienstliche Informationen den Weg in rechte Netzwerke. Das sind Taten, die einzelne begehen, die strafrechtlich relevant sind, aber denen keine strukturelle Maßnahme mit totaler Sicherheit vorbeugen kann.

Kurz zusammengefasst: Selbst wenn man der Polizei die besten Intentionen unterstellt, unterliegt sie Zwängen und Prozessen, die zu denkwürdigen Resultaten führen. Zu nennen sind individuelle und zahlenmäßige Überforderung, Desorientierung, das Einschleifen von Feindbildern, der berühmte Corpsgeist, das Gefühl, sowieso nicht erfolgreich agieren zu können. Eben wegen des Corpsgeistes und der Affinität autoritärer Personen zum Polizeidienst haben geschlossene Polizeieinheiten eine Schlagseite hin zum rechten politischen Spektrum. Dass diese Einstellungen zu Handlungen werden, muss durch Gegenstrategien verhindert werden.

Was muss getan werden, um diese Trend entgegen zu wirken?



Zum Einen kann jede und jeder selbst etwas tun: Falls die Polizei nicht eingreift oder falls man sonst irgendwie Zeuge einer Straftat wird, kann man selbst Beweise sammeln und die direkt zur Staatsanwaltschaft bringen. Insbesondere bei Straftaten durch Beamte ist dies sicher auch sinnvoller, als der Weg zur nächsten Polizeiwache.

Weiter muss den vorhersehbaren, psychologischen Prozessen der Gruppendynamik und des Aufbaus von Vorurteilen entgegen gewirkt werden. Das muss ein aktiver Prozess sein, denn einfach nur Regeln aufzustellen, die nicht immer wieder verteidigt werden, führt zum Einschleifen von unakzeptablem Verhalten.

Individuell ist das schwierig und letztendlich ist es auch die Aufgabe „des Dienstherrn“ hier Abhilfe zu schaffen. Verpflichtende Fortbildung, interaktive Workshops müssen regelmäßig genutzt werden, um Vorurteile abzubauen und das Verhalten zum „polizeilichen Gegenüber“ wieder auf zivilisierte Füße zu stellen.

Es muss Polizisten auch immer wieder klar gemacht werden, dass die Würde des Menschen und all seine Grundrechte ein extrem hohes Gut sind. Jede polizeiliche Maßnahme, die nicht unmittelbar lebensrettend ist, muss sich daran messen lassen. Als ich einem Bundespolizisten gegenüber das Konzept der Inneren Führung der Bundeswehr erwähnte, unterbrach mich der Mann mit: „Die sind uns da um Längen voraus!“

Eine Bekannte erwähnte mal, dass es in den ostdeutschen Bundesländern so gut wie keine Fortbildungsinstitutionen zu Bürgerrechten gegenüber der Polizei gibt. Alle Personen, die ich seitdem darauf angesprochen haben, bestätigten mir, dass man dafür nach Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen fahren muss. Die politische Bildung der Beamten ist aber essentiell, für eine gesetzestreue, statt einer regierungstreuen Polizei.

Wesentlich für die Versicherung des Bürgers, es mit rechtmäßigen und nicht willkürlichen Maßnahmen zu tun zu haben, ist ein hohes Maß an Transparenz über polizeiliches Handeln. Ein Polizist muss mir immer sagen können, mit welchem Zweck er welche Maßnahme macht und warum er sich davon Erfolg verspricht. Greift er dabei in Grundrechte ein, muss er mir auch erklären können, warum dies nötig ist.

Agiert eine Polizeieinheit gegenüber mehreren Personen, muss auch hier transparent sein, was diese Einheit darf, was ihre Standardprozeduren sind. Im Zweifel muss der Einsatzleiter das auch im Voraus erklären. Die Polizei Sachsen hat hier deutlich andere Prioritäten. Auch hier kann man die Niedersachsen lobend erwähnen, wenn man denn will.

Polizeisprecher geben zudem nur selten zu, wenn etwas schief geht. Alles andere als offen Kommunikation von Fehlern verhöhnt aber die Opfer. Damit macht man sich in den Augen der Opfer mit den Tätern gemein. Die Täter fühlen sich legitimiert und ermutigt. Hier geht die Neutralität der Polizei in den Augen der Bürger verloren.

Es wird keine Regierung drüber stürzen, wenn ein Pressesprecher mal sagt: „Ja, die Bilder haben mich auch erschreckt. Das sieht auf den ersten Blick nach Fehlverhalten aus. Wir untersuchen das und werden Konsequenzen für die eingesetzten Beamten und unsere Herangehensweise an solche Situationen ziehen, falls da was dran ist.“ Das muss ein leitender Beamter oder Innenminister auch aushalten un nicht das Damoklesschwert einer Kündigung über den Beamten heben.

Letztendlich muss es für Polizisten mehr Ansprechpartner geben als den eigenen Vorgesetzten und den Polizeipfarrer. Regelmäßige Supervisionen sind eine Möglichkeit, Ansprechpartner außerhalb der Kommandokette eine weitere. Letztendlich sollte es auch eine politische Instanz geben, an die sich Beamte wenden können, parallel zum Wehrbeauftragten des Bundestages. Nur so können Fehlentwicklungen angesprochen werden, ohne dass der Beamte Angst haben muss, Konsequenzen zu erleiden.

Verschärfende Fehlentwicklungen müssen abgestellt werden: Dass Polizeischüler in geschlossenen Einheiten eingesetzt werden, dass kaum ausgebildete Wachpolizisten in brenzlige Situationen gebracht werden, dass immer weniger Ausbildungszeit zur Verfügung steht, führt alles zu mehr Eskalation.

Kurze Zusammenfassung: Es braucht mehr Bildung für Polizisten, mehr Ansprechpartner außerhalb der Kommandokette, mehr Transparenz für polizeiliches Handeln vor, während und nach Einsätzen.

Was müssen Vorgesetzte und politische Verantwortungsträger jetzt tun?



Sie müssen sich klar machen, dass rechtswidriges Verhalten, besonders Gewaltanwendung kein Kavalliersdelikt sind. Sie müssen sich auch bewusst machen, dass schon der Anschein vermieden werden muss, dass es sich um willkürliche Maßnahmen handelt, besonders in politischen Kontexten. Dies kann bei Einsätzen die „hässlich aussehen“ nur durch eine offene Informationspolitik, die den Bürger in den Mittelpunkt stellt, erreicht werden.

Die Polizei darf nicht nur sagen „Vertrauen Sie uns.“ Sie muss klar sagen, warum. Falls Polizei unrechtmäßig agierte, muss das kommuniziert werden und Konsequenzen haben. Die Polizei darf zu sich selbst nicht weicher sein, sie muss härter sein. Denn an Polizisten legt die Gesellschaft zu recht höhere Maßstäbe an.

Das muss sich auch im Selbstverständnis der Polizei Sachsen niederschlagen. Der Anspruch „Wir sind neutral“ (zum Beispiel durch den Inspekteur der Polizei Sachsen) reicht nicht aus um das Verhalten der Beamten so zu beeinflussen, dass er auch Realität wird. Vielmehr muss die Polizei auf den Schutz der Grundrechte eingeschworen werden. Polizeibeamte haben einen Beruf, der von ihnen und ihrer Umgebung Opfer verlangt. Es muss ihnen klar gemacht werden, wofür sie das tun:

Damit jeder sich frei entfalten kann und niemand von Nazis zusammengehauen wird, weil die glauben, die Polizei fände das okay. Am Ende kann es nämlich auch die eigenen Eltern treffen, die sich für Geflüchtete engagieren, oder das eigene Kind, das eine zu extravagante Frisur trägt. Denn die gleiche Freiheit wird nur durch eine Polizei garantiert, die alle Rechte gemeinsam und für alle garantiert.

Das gilt für jedes polizeiliche Handeln, denn heute kann überall eine Kamera sein und am Ende entscheidet die Öffentlichkeit, ob sie der Polizei vertraut, oder ob sie lieber Grundrechtseinschränkungen in Kauf nimmt, oder gar das Recht in die eigene Hand.

Ein Kripobeamter regte sich mir gegenüber über „die Linken“ auf, die Maßnahmen gegen sich immer kritisieren würden, aber Maßnahmen gegen Rechte ständig einfordern. Auf meine Nachfrage, ob er nicht froh sei, dass sie noch Forderungen an die Polizei stellen, statt gleich abzuwinken, brach der Beamte das Gespräch ab. Als wir es später fortsetzten, gab er mir jedoch recht, insbesondere mit Blick auf „linke Selbstjustiz“ und den „rechten Mob“.

Wenn ein Einsatzgeschehen offensichtlich daran scheitert alle Grundrechte zu schützen, dann muss das thematisiert werden. Man kann Fehler nicht abstellen, ohne sie zuzugeben. Der erste Vorgesetzte, der nicht versucht, Fehler abzustellen, muss bestraft werden. Wenn sich ein Polizeichef, wie im Clausnitzer Fall vor die Presse stellt und sagt: Hier gibt es nichts zu rütteln, dann muss er gehen.

Nach einem Einsatz, den selbst viele Polizisten nur mit Kopfschütteln kommentieren, muss auch gesagt werden: Wir gucken uns das an, wir stellen die Fehler ab, das kommt nicht wieder vor.

Letztendlich braucht die Polizei aber auch die Mittel, dies umzusetzen. Das heißt: Mehr Beamte und mehr Ruhezeiten zwischen den Einsätzen für Fortbildungen, Training, Einsatzvorbereitung und Einsatznachbereitung. Auch wenn das für Linke schwer zu schlucken ist: Weniger Polizei wird noch brutaler agieren. Mehr Polizei sich mehr zivilisieren.

Will ein Innenminister eine Polizei die Grundrechte schützt, dann muss er gegen Fehlentwicklungen vorgehen. Wenn er jetzt zu wenige Beamte hat, weil er sie jahrelang weggespart hat, dann muss er das zugeben.

Wenn Revierleiter behaupten, Willkommensfeste wären eine Provokation der Rechten gewesen und würden daher nicht geschützt, und der Beamte im Dienst bleibt, muss dieser Innenminister gehen. Wenn ein Polizeipräsident sagt, ein Einsatz, bei dem unmittelbarer Zwang gegen verängstigte Kinder eingesetzt wurde, wäre gut gelaufen, und der Beamte im Dienst bleibt, muss dieser Innenminister gehen. Wenn ein Einsatzleiter einen Versammlungsleiter angeht, dass die Forderung nach mehr Polizei bei ihm an der falschen Adresse ist, dann muss der Innenminister das Problem lösen, oder er geht.

Wenn er der Polizei suggeriert, sie kann ihre Aufgaben nicht bewältigen und deswegen den Einsatz der Bundeswehr im Inneren fordert, statt seine Polizei zu befähigen, dann muss er sich eins klar machen: Seine Aufgabe ist der Schutz der Verfassung. So schützt er sie nicht und muss gehen.


Jeder Polizist muss wissen, dass der Schutz der Grundrechte gleich nach dem Schutz von Leben seine oberste Pflicht ist und seinen körperlichen Einsatz fordert. Vorgesetzte, die ihnen weniger durchgehen lassen, schaffen letztendlich Raum für Selbstjustiz.

Zusammengefasst: Die Polizei braucht ein professionelles, ziviles Selbstbild, eine personelle Aufstockung und eine neue Führung nebst Innenminister.

4 Kommentare:

  1. Weiteres Beispiel in Leipzig wird am 12.12.15 auf eine friedliche Versammlung ohne erkennbaren noch tatsächlichen Grund Tränengas abgefeuert. Der Einsatz war weder geeignet noch verhältnismäßig und tangiert dabei gleich mehrere Grundrechte (Recht auf Körperliche Unversehrtheit, Versammlungsfreiheit usw.)

    https://www.youtube.com/watch?v=8hKzvdmtsT8

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  2. sehr guter Text. Danke

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  3. Bei dem Punkt der Überlastung durch fehlendes Personal sei angemerkt, dass im Verhältnis zu ähnlich großen (west-)Bundesländern ein um etwa 30% höheres Verhältnis von Beamten:Bevölkerung hat. (https://de.wikipedia.org/wiki/Polizei_Sachsen#Polizei_Sachsen_2020, es finden sich bestimmt auch exaktere Zahlen). Vielleicht sind die Sachsen ja besonders schwer zu kontrollieren ;)
    Ich vermute eher, dass sich die Mängel in der polizeilichen Führung, eine schlechtere Aus- und Weiterbildung und die politische Instrumentalisierung als Machtinstrument der Regierung gegenseitig verstärken und negativ zusammen wirken.

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    1. Spannender Hinweis.
      Unser Eintrag bezog sich ja fast ausschließlich auf Bereitschaftspolizei. Auch da finden sich aber ähnliche Verhältnisse. So hat NRW etwa eine Hundertschaft pro 1 Mio. Einwohner, Sachsen doppelt so viel.

      Geht man allerdings nach Anzahl der abzusichernden Veranstaltungen, ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild, seit es PEGIDA gibt. Nach den Zahlen, die auf die Schnelle ermittelt werden konnten, deckte Berlin 2014 etwa 5000 Veranstaltungen mit 16 Hundertschaften ab. Sachsen hat 2014 2400 Veranstaltungen mit 7 Hundertschaften abgedeckt. 2015 dürfte sich die Lage deutlich zugespitzt haben.
      Die "Einsatzdichte" der Bereitschaftspolizei ist in Sachsen demnach auch im Bundesvergleich sehr hoch.

      Ganz gut zum einlesen ins Thema ist auch: http://www.bpb.de/apuz/30826/deutsche-laenderpolizeien?p=all

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