In der vergangenen Woche hat Werner Patzelt, selbsterklärter
PEGIDAversteher und Professor für politische Systeme an der TU Dresden die
bisher umfangreichste Studie zu PEGIDA herausgegeben. Sein Buch „PEGIDA.
Warnsignale aus Dresden“ umfasst 670 Seiten. Die Studie hat allerdings
Schwächen und das fängt bereits bei der Beschreibung der Teilnehmer an. Durch
willkürliche Datenauswahl war das Ergebnis der wirtschaftlichen Klassifizierung
der PEGIDA-Teilnehmer schon vor Beginn der Befragung klar. Kritische
Wissenschaft ist das nicht.
In den PEGIDA-Studien von Werner Patzelt findet sich immer
wieder der Hinweis, dass es sich bei den PEGIDA-Teilnehmern im Schnitt nicht um
„Besserverdienende“ handelt. Seine Fragemethodik, die zum Vergleich
herangezogene statistische Maßzahl und deren konkreter Bezugsrahmen sind aber
überhaupt nicht geeignet, diese Aussage zu treffen. In seinen PEGIDA-Studien
betont Werner Patzelt immer wieder, dass die Anliegen der PEGIDA-Teilnehmer
berechtigte Anliegen sind und dass es sich bei ihren Ängsten nicht um
irrationale Fantasien handelt. In Interviews und auf seinem Blog behauptet er
außerdem immer wieder, dass er PEGIDA „wirklich“ verstehe, weil er sich so
intensiv – und wie Kritiker sagen: unkritisch – mit den Teilnehmern
beschäftigt. Aber bereits seine Behauptung über die soziale Zusammensetzung ist
mindestens ungenau und nicht wissenschaftlich-kritisch überprüfbar.
Patzelts These kurz zusammengefasst lautet: Das Durchschnittsbruttoeinkommen
in Sachsen liegt bei etwa 2800 Euro. Weil 73% der befragten PEGIDA-Teilnehmer
von sich sagen, dass ihr Einkommen gleich oder niedriger ist, handelt es sich
nicht um „Besserverdienende“. Patzelt spricht hier immer wieder zum Beispiel hier oder hier)
von Spannungslinien zwischen oben und unten, aber auch zwischen „kleinen
Leuten“ und „Asylbewerbern“. Ein Konkurrenzkampf zwischen den
Einkommensschwachen Deutschen und Asylbewerbern ist also eine Bedrohung, die
die Teilnehmer zu PEGIDA führt. Da das allein ja kein „fremdenfeindliches“ oder
rassistisches Motiv sei, sondern ein sozioökonomisches, könne man PEGIDA auch
nicht pauschal als rassistisch „diskreditieren“.
Das Problem: Sucht man beim sächsischen Statistischen
Landesamt nach dem Wert, den Patzelt angegeben hat, findet sich eigentlich nur
der „Bruttomonatsverdienst von Vollzeitbeschäftigten in produzierendem Gewerbe
& Dienstleistungen“, der 2014 bei 2.756 Euro lag. Es handelt sich also
mitnichten um einen allgemeinen Durchschnittswert, sondern um einen Ausschnitt
von Personen, bei dem schlechter bezahlte Menschen, zum Beispiel in Land- und
Forstwirtschaft, Teilzeitbeschäftigte oder Rentner und Arbeitslose, ignoriert
werden.
Selbst wenn in der Studie all diese Personengruppen
einbezogen worden wären, ist der Bezugswert selbst unsauber. Die verwendete statistische
Größe ist nämlich ungeeignet um die Einkommensverteilung abzufragen. Zur
Erinnerung: Patzelt fragte: Verdienen sie mehr, etwa gleich viel oder weniger
als 2.800 Euro? Das Problem dabei ist: Wenige Menschen mit sehr hohem Einkommen
„ziehen“ den Durchschnittswert nach oben. Es werden also in halbwegs
repräsentativen Stichproben immer mehr als 50% der Befragten angeben, dass sie
weniger verdienen als der Durchschnitt.
Wenn zwei Kinder einen Euro haben und ein Kind zehn Euro,
dann haben die drei im Durchschnitt vier Euro. Mehr als 50% der Kinder würden also
auf die Frage „Hast du mehr oder weniger als vier Euro?“ wahrheitsgemäß mit „Weniger“ antworten.
Um die Einkommensverhältnisse einer Stichprobe abzubilden,
wird in den Wirtschaftswissenschaften stattdessen üblicherweise das „mittlere
Einkommen“ verwendet. Das klingt sehr ähnlich, aber beim mittleren Einkommen
handelt es sich um den Median der Einkommensverteilung. Also den Wert, bei dem
wirklich 50% der Bevölkerung weniger verdienen und 50% mehr.
Die Methode ist eigentlich simpel: Man sortiert die Teilnehmer dem Einkommen nach, sucht sich den Teilnehmer, der jetzt genau in der Mitte steht heraus und fragt: Wie hoch ist dein Einkommen? Bei den Kindern
wäre dies ein Euro: Die Hälfte hat mehr, die Hälfte hat weniger. Laut
Statistischem Bundesamt liegt dieser Wert für die neuen Bundesländer bei 2.242
Euro brutto.
Der sinnvolle Wert, an den beim Statistischen Bundesamt am
einfachsten heranzukommen ist (link zu pdf), weil er am gebräuchlichsten ist, ist das
Nettoäquivalenzeinkommen. Das liegt bei etwa 1.600 Euro. Wollen Forscher einen
soliden Vergleichswert, ziehen sie meist diesen heran.
Leider ist es der Fragestellung geschuldet, dass aus den
Daten nicht erkennbar ist, wie die Pegidianer abschneiden würden, wäre dieser
Wert verwendet worden. Jede andere Studie zu PEGIDA hat das Einkommen konkret
abgefragt, indem die Teilnehmer gebeten wurden, sich in eine Klasse
einzusortieren. Die zugegebenermaßen dröge Frage lautet dann: „Liegt ihr
Einkommen unter 500 Euro, zwischen 500 und 1000 Euro, zwischen 1000 und 1500
Euro, usw.?“ (Vergleiche Geiges, Marg, Walter; Bonn 2015 oder Vorländer, Herold,
Schäller; Dresden 2015).
Diese Studien sind Werner Patzelt bekannt und er bezieht
sich immer wieder auf sie. Er behauptet sogar, die Aussagen wären grundsätzlich
die Gleichen. Allerdings sagt Hans Vorländer, einer der Autoren der
Vergleichsstudien, über PEGIDA-Anhänger: „Sie sind gebildet und verdienen gut.“
Dabei sind die mittleren Einkommen der Teilnehmer bei beiden anderen Studien
bei unter 2.000 Euro, bei Vorländer sogar nur knapp über 1.500. Es ist
beeindruckend, wie die Bewertungen abweichen, die sich doch angeblich gleichen.
Das große Versäumnis liegt darin, dass die Daten tatsächlich
die gleichen sein könnten. Es muss aber nicht so sein. Und gerade vor diesem
unklaren Hintergrund ist es ein dramatischer Unterschied, ob Pegidateilnehmer
in die besser verdienende Mittelschicht oder eben doch mehrheitlich in prekäre
Verhältnisse hinein formuliert werden.
Warum sich die Arbeitsgruppe von Werner Patzelt für die
2.800 Euro entschieden hat, ist unklar. Aber: Jede einzelne Entscheidung,
die zu diesem Wert führte, sorgte dafür, dass PEGIDA-Teilnehmer gegenüber dem
Vergleichswert ärmer wurden: Das Durchschnittseinkommen zu verwenden hat den
Vergleichswert gegenüber dem tatsächlichen Einkommen nach oben verschoben,
Brutto statt Netto zu verwenden hat den Vergleichswert auch nach oben
verschoben und bildet die realen Einkommensverhältnisse nicht ab, als
Vergleichsstichprobe ausgerechnet Vollzeitbeschäftigte in Produktion und Dienstleistungen
zu verwenden erhöht den Vergleichswert noch einmal.
Es kann sich bei dieser Auswahl um einfache Fehler handeln,
die zufällig passiert sind. Aber Zufälle haben die Eigenheit, dass man weniger
an sie glaubt, je häufiger sie auftreten. Mit jedem „Zufall“
wirkt es mehr wie bewusste Datenmanipulation mithilfe des Studiendesigns.
Leider wurde ebenso zufällig und naiv eine Fragestellung
wählt, die eine Überprüfung der Rohdaten mit der richtigen Bezugsgröße
unmöglich macht. Mit der gewählten Fragestellung wäre er bei jeder
Demonstration* zu diesem Ergebnis gekommen und das auch völlig vorhersehbar. Das
stößt an die Grenze kritischer Wissenschaft und wäre vielleicht bei
Hausarbeiten gerade noch tolerabel.
*Ausgenommen möglicherweise Proteste des Marburger Bundes.
Was versteht Werner Patzelt und was versteht er nicht?
Obwohl Werner Patzelt immer wieder behauptet, er würde
PEGIDA „wirklich verstehen“, hat er nicht mal korrekte Daten zur
Zusammensetzung der befragten Teilnehmer, kann sie gar nicht haben. Und
offenbar ist er auch nicht besonders interessiert, denn andere Teile seiner
Fragebögen wurden immer weiter verfeinert. Die Ungenauigkeiten beim Einkommen
zieht sich aber durch.
Der Verdacht liegt daher nah, dass Werner Patzelt nur das
PEGIDA sieht, auf das er sich schon von Anfang an festgelegt hat. Was ist aber mit den jungen, männlichen Teilnehmern,
die nicht an der Studie teilnehmen und die durchführenden Studierenden verbal
und körperlich angreifen? Werner Patzelt weiß, dass er auf diesem Auge blind ist, dass er keine Daten
hat. Trotzdem behauptet aber, dass er mit dem anderen Auge schärfer sieht als
alle anderen. PEGIDA kennen bedeutet auch, die Schläger und Nazihools kennen. PEGIDA ist nicht nur der kauzige, ältere Herr, der sich von Putin die Rettung vor den Amis erhofft.
Es gibt diese dunkle Seite von PEGIDA, die Professor Patzelt
leider immer wieder völlig ausblendet. Und so lange er sich hier selbst im Weg
steht, wird er PEGIDA – bei aller Mühe, Akribie und Nähe – nicht verstehen
können.
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