Donnerstag, 23. Juni 2016

Patzelts Thesen 2: Spaß mit Statistik, oder: Kennt Werner P. PEGIDA wirklich?


In der vergangenen Woche hat Werner Patzelt, selbsterklärter PEGIDAversteher und Professor für politische Systeme an der TU Dresden die bisher umfangreichste Studie zu PEGIDA herausgegeben. Sein Buch „PEGIDA. Warnsignale aus Dresden“ umfasst 670 Seiten. Die Studie hat allerdings Schwächen und das fängt bereits bei der Beschreibung der Teilnehmer an. Durch willkürliche Datenauswahl war das Ergebnis der wirtschaftlichen Klassifizierung der PEGIDA-Teilnehmer schon vor Beginn der Befragung klar. Kritische Wissenschaft ist das nicht.



In den PEGIDA-Studien von Werner Patzelt findet sich immer wieder der Hinweis, dass es sich bei den PEGIDA-Teilnehmern im Schnitt nicht um „Besserverdienende“ handelt. Seine Fragemethodik, die zum Vergleich herangezogene statistische Maßzahl und deren konkreter Bezugsrahmen sind aber überhaupt nicht geeignet, diese Aussage zu treffen. In seinen PEGIDA-Studien betont Werner Patzelt immer wieder, dass die Anliegen der PEGIDA-Teilnehmer berechtigte Anliegen sind und dass es sich bei ihren Ängsten nicht um irrationale Fantasien handelt. In Interviews und auf seinem Blog behauptet er außerdem immer wieder, dass er PEGIDA „wirklich“ verstehe, weil er sich so intensiv – und wie Kritiker sagen: unkritisch – mit den Teilnehmern beschäftigt. Aber bereits seine Behauptung über die soziale Zusammensetzung ist mindestens ungenau und nicht wissenschaftlich-kritisch überprüfbar.

Patzelts These kurz zusammengefasst lautet: Das Durchschnittsbruttoeinkommen in Sachsen liegt bei etwa 2800 Euro. Weil 73% der befragten PEGIDA-Teilnehmer von sich sagen, dass ihr Einkommen gleich oder niedriger ist, handelt es sich nicht um „Besserverdienende“. Patzelt spricht hier immer wieder zum Beispiel hier oder hier) von Spannungslinien zwischen oben und unten, aber auch zwischen „kleinen Leuten“ und „Asylbewerbern“. Ein Konkurrenzkampf zwischen den Einkommensschwachen Deutschen und Asylbewerbern ist also eine Bedrohung, die die Teilnehmer zu PEGIDA führt. Da das allein ja kein „fremdenfeindliches“ oder rassistisches Motiv sei, sondern ein sozioökonomisches, könne man PEGIDA auch nicht pauschal als rassistisch „diskreditieren“.

Das Problem: Sucht man beim sächsischen Statistischen Landesamt nach dem Wert, den Patzelt angegeben hat, findet sich eigentlich nur der „Bruttomonatsverdienst von Vollzeitbeschäftigten in produzierendem Gewerbe & Dienstleistungen“, der 2014 bei 2.756 Euro lag. Es handelt sich also mitnichten um einen allgemeinen Durchschnittswert, sondern um einen Ausschnitt von Personen, bei dem schlechter bezahlte Menschen, zum Beispiel in Land- und Forstwirtschaft, Teilzeitbeschäftigte oder Rentner und Arbeitslose, ignoriert werden.

Selbst wenn in der Studie all diese Personengruppen einbezogen worden wären, ist der Bezugswert selbst unsauber. Die verwendete statistische Größe ist nämlich ungeeignet um die Einkommensverteilung abzufragen. Zur Erinnerung: Patzelt fragte: Verdienen sie mehr, etwa gleich viel oder weniger als 2.800 Euro? Das Problem dabei ist: Wenige Menschen mit sehr hohem Einkommen „ziehen“ den Durchschnittswert nach oben. Es werden also in halbwegs repräsentativen Stichproben immer mehr als 50% der Befragten angeben, dass sie weniger verdienen als der Durchschnitt.

Wenn zwei Kinder einen Euro haben und ein Kind zehn Euro, dann haben die drei im Durchschnitt vier Euro. Mehr als 50% der Kinder würden also auf die Frage „Hast du mehr oder weniger als vier Euro?“ wahrheitsgemäß mit „Weniger“ antworten.

Um die Einkommensverhältnisse einer Stichprobe abzubilden, wird in den Wirtschaftswissenschaften stattdessen üblicherweise das „mittlere Einkommen“ verwendet. Das klingt sehr ähnlich, aber beim mittleren Einkommen handelt es sich um den Median der Einkommensverteilung. Also den Wert, bei dem wirklich 50% der Bevölkerung weniger verdienen und 50% mehr. 

Die Methode ist eigentlich simpel: Man sortiert die Teilnehmer dem Einkommen nach, sucht sich den Teilnehmer, der jetzt genau in der Mitte steht heraus und fragt: Wie hoch ist dein Einkommen? Bei den Kindern wäre dies ein Euro: Die Hälfte hat mehr, die Hälfte hat weniger. Laut Statistischem Bundesamt liegt dieser Wert für die neuen Bundesländer bei 2.242 Euro brutto.

Der sinnvolle Wert, an den beim Statistischen Bundesamt am einfachsten heranzukommen ist (link zu pdf), weil er am gebräuchlichsten ist, ist das Nettoäquivalenzeinkommen. Das liegt bei etwa 1.600 Euro. Wollen Forscher einen soliden Vergleichswert, ziehen sie meist diesen heran.

Leider ist es der Fragestellung geschuldet, dass aus den Daten nicht erkennbar ist, wie die Pegidianer abschneiden würden, wäre dieser Wert verwendet worden. Jede andere Studie zu PEGIDA hat das Einkommen konkret abgefragt, indem die Teilnehmer gebeten wurden, sich in eine Klasse einzusortieren. Die zugegebenermaßen dröge Frage lautet dann: „Liegt ihr Einkommen unter 500 Euro, zwischen 500 und 1000 Euro, zwischen 1000 und 1500 Euro, usw.?“ (Vergleiche Geiges, Marg, Walter; Bonn 2015 oder Vorländer, Herold, Schäller; Dresden 2015).

Diese Studien sind Werner Patzelt bekannt und er bezieht sich immer wieder auf sie. Er behauptet sogar, die Aussagen wären grundsätzlich die Gleichen. Allerdings sagt Hans Vorländer, einer der Autoren der Vergleichsstudien, über PEGIDA-Anhänger: „Sie sind gebildet und verdienen gut.“ Dabei sind die mittleren Einkommen der Teilnehmer bei beiden anderen Studien bei unter 2.000 Euro, bei Vorländer sogar nur knapp über 1.500. Es ist beeindruckend, wie die Bewertungen abweichen, die sich doch angeblich gleichen.

Das große Versäumnis liegt darin, dass die Daten tatsächlich die gleichen sein könnten. Es muss aber nicht so sein. Und gerade vor diesem unklaren Hintergrund ist es ein dramatischer Unterschied, ob Pegidateilnehmer in die besser verdienende Mittelschicht oder eben doch mehrheitlich in prekäre Verhältnisse hinein formuliert werden.

Warum sich die Arbeitsgruppe von Werner Patzelt für die 2.800 Euro entschieden hat, ist unklar. Aber: Jede einzelne Entscheidung, die zu diesem Wert führte, sorgte dafür, dass PEGIDA-Teilnehmer gegenüber dem Vergleichswert ärmer wurden: Das Durchschnittseinkommen zu verwenden hat den Vergleichswert gegenüber dem tatsächlichen Einkommen nach oben verschoben, Brutto statt Netto zu verwenden hat den Vergleichswert auch nach oben verschoben und bildet die realen Einkommensverhältnisse nicht ab, als Vergleichsstichprobe ausgerechnet Vollzeitbeschäftigte in Produktion und Dienstleistungen zu verwenden erhöht den Vergleichswert noch einmal.
Es kann sich bei dieser Auswahl um einfache Fehler handeln, die zufällig passiert sind. Aber Zufälle haben die Eigenheit, dass man weniger an sie glaubt, je häufiger sie auftreten. Mit jedem „Zufall“ wirkt es mehr wie bewusste Datenmanipulation mithilfe des Studiendesigns.

Leider wurde ebenso zufällig und naiv eine Fragestellung wählt, die eine Überprüfung der Rohdaten mit der richtigen Bezugsgröße unmöglich macht. Mit der gewählten Fragestellung wäre er bei jeder Demonstration* zu diesem Ergebnis gekommen und das auch völlig vorhersehbar. Das stößt an die Grenze kritischer Wissenschaft und wäre vielleicht bei Hausarbeiten gerade noch tolerabel.

*Ausgenommen möglicherweise Proteste des Marburger Bundes.


Was versteht Werner Patzelt und was versteht er nicht?



Obwohl Werner Patzelt immer wieder behauptet, er würde PEGIDA „wirklich verstehen“, hat er nicht mal korrekte Daten zur Zusammensetzung der befragten Teilnehmer, kann sie gar nicht haben. Und offenbar ist er auch nicht besonders interessiert, denn andere Teile seiner Fragebögen wurden immer weiter verfeinert. Die Ungenauigkeiten beim Einkommen zieht sich aber durch.

Der Verdacht liegt daher nah, dass Werner Patzelt nur das PEGIDA sieht, auf das er sich schon von Anfang an festgelegt hat. Was ist aber mit den jungen, männlichen Teilnehmern, die nicht an der Studie teilnehmen und die durchführenden Studierenden verbal und körperlich angreifen? Werner Patzelt weiß, dass er auf diesem Auge blind ist, dass er keine Daten hat. Trotzdem behauptet aber, dass er mit dem anderen Auge schärfer sieht als alle anderen. PEGIDA kennen bedeutet auch, die Schläger und Nazihools kennen. PEGIDA ist nicht nur der kauzige, ältere Herr, der sich von Putin die Rettung vor den Amis erhofft.

Es gibt diese dunkle Seite von PEGIDA, die Professor Patzelt leider immer wieder völlig ausblendet. Und so lange er sich hier selbst im Weg steht, wird er PEGIDA – bei aller Mühe, Akribie und Nähe – nicht verstehen können.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen