Donnerstag, 14. Januar 2016

Analyse: Gesellschaft, Polizei und die Ereignisse bei #le1101 und #dd2112

Während der PEGIDA-Demonstration am 21.12.2015 sammelten sich nördlich der Neustadt mehrere Dutzend Hooligans. Etwa 30 von ihnen gelang es, sich unbemerkt bis zur Kamenzer Straße zu bewegen. Dort griffen sie eine Personengruppe an, drangen randalierend und Steine werfend bis zur Schönfelder Straße vor und verschwanden dann so schnell, wie sie gekommen waren. Zurück blieben verängstigte Einwohner und mindestens eine Verletzte.

Die Polizei brauchte mehrere Minuten um, dann aber mit starken Kräften, in der Neustadt zu sein. Gegen sie kommt es zu Anfeindungen und Eierwürfen durch Personen, die dem linken Spektrum zugeordnet werden.

Drei Wochen später, Leipzig. Etwa 300 Hooligans sammeln sich während des LEGIDA-Jubiläums östlich ihres Zieles in Connewitz. Es folgen minutenlange Randale. Zahlreiche Geschäfte werden angegriffen, Pyrotechnik eingesetzt. 

Die Polizei ist nach wenigen Minuten vor Ort, setzt die Hools fest. Der Widerstand ist minimal. Beim Abtransport kommt es zu Angriffen durch Autonome.

Beide Vorfälle haben so offensichtliche Gemeinsamkeiten, dass man darin einen Trend sehen muss.


Was ist über die Organisation der Angriffe bekannt? Was kann geschlussfolgert werden?

Bisher ist nur bekannt, dass es allgemeine Aufrufe im Vorfeld gab. Diese schlossen rhetorisch an die Demonstrationsaufrufe von LEGIDA und PEGIDA an. Die Angreifer waren aber - anders als am 19.10.2015 - an den entsprechenden Montagen nicht bei den Demonstrationen.

Aufgrund einiger Aussagen in sozialen Netzwerken ist davon auszugehen, dass die Angriffe nicht erst am Tag des Geschehens geplant wurden, sondern bereits im Vorfeld. Dass jeweils geschlossene Gruppen von Hooligans teilnahmen spricht dafür, dass bestehende Kommunikationsstrukturen in der Szene genutzt wurden.

Diese Gruppen schwanken in ihrer Größe vermutlich zwischen 4 (Plätze in einem KFZ, welche häufig zur Anreise genutzt werden) und 30 (Anzahl der Angreifer in der Neustadt). Wie zwischen diesen Gruppen koordiniert wird, ist bisher unklar. Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass Neonazi-Kader aus dem Kreis der Freien Kameradschaften und der NPD dabei eine tragende Rolle spielen.

In Dresden wurde arbeitsteilig mit Kundschaftern gearbeitet und es gab offenbar einen Konsens über die Stärke der Eskalation, zumindest sind keine Berichte bekannt geworden, nach denen sich einzelne oder Gruppen von den Angreifern distanziert hätten. Interessant ist, dass sich in Dresden mehrere Gruppen getrennt voneinander auf den Weg in die Neustadt machten, nachdem sie sich zuvor getroffen hatten.

Welche allgemeinen Rückschlüsse kann man ziehen?


Bemerkenswert bleibt die Einreihung von Fußball-Hools in die rechtsextreme Szene. Diese wird offenbar durch die vermeintliche sozialen Akzeptanz von Gewalt, wenn sie nur "dem Volk" dient, verstärkt. Das Phänomen wurde mit der ersten "Hooligans gegen Salafisten"-Demonstration ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit gerückt.

HOGESA hat dabei eine neue Qualität gezeigt: Während vorher oft Anhänger einer Fußballmannschaft auch politische Gewalt ausgeübt haben, geschieht dies nun offenbar vermehrt als gemeinsame rechte "Nazihool-Szene". Diese fusionierte Szene identifiziert sich eindeutig mit gemeinsamen Zielen, gemeinsamen Feindbildern und rechtsextremen Szenecodes.

Dabei zeigt sich, dass die Feindbilder austauschbar sind. Hat man sich vorher gegenseitig bekriegt, werden jetzt gemeinsam politische Gegner angegriffen. Aufgrund Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof und der Zunahme von Polizeiaktionen liegt der Schluss nah, dass auch das "Zielspektrum" der Hooligans erweitert wird. Koordinierte Angriffe auf Repräsentanten des Staates sind denkbar.

Es ist noch nicht ganz eindeutig, ob das addierte Gewaltpotential von Hooligans und Neonazis tatsächlich gestiegen ist, oder die Angriffe in Leipzig und Dresden allein durch die Fusion und zahlenmäßige Stärke der vereinigten "Nazihools" möglich wurde. Aufwind bekommen die Hools dabei offenbar durch die zunehmend gewaltsame Rhetorik der Rechtspopulisten und Fremdenfeinde.

Wie reagierte die Polizei?


Nach Gesprächen mit den Pressestellen der für die Einsätze verantwortlichen Polizeidirektionen Dresden und Leipzig* ergibt sich für beide Situationen ein ähnliches Bild.

Es wurden jeweils Kräfte in Reserve gehalten, weil man mit linken Störaktionen rechnete, jedoch diese nicht mit sichtbarer Präsenz provozieren wollte. In Leipzig wurde rechtsextreme Störaktionen auch eher im direkten Demonstrationsumfeld von LEGIDA erwartet und die Ankündigungen aus der Szene entsprechend interpretiert. Im Vorfeld sind keine Informationen in die Planung eingegangen, nach denen Nazihools Angriffe planen, die unabhängig vom Demonstrationsgeschehen sind. Solche Aktionen können nur polizeilich verhindert werden, wenn Informationen darüber frühzeitig vorhanden sind. Gänzlich ausschließen kann man sie also nicht. Die Antworten im einzelnen:

#le1101


In Leipzig hat die Polizei Kräfte in Reserve gehalten, um in Connewitz gegen Störer vorzugehen. Dabei war die Prognose von Straftaten aus dem linken Spektrum ausgegangen. Man habe aus dem 12.12.2015 gelernt und die Polizeikräfte nicht "auf dem Connewitzer Kreuz aufmarschieren lassen", um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Im Vorfeld sind keine Informationen über geplante rechtsextreme Angriffe in die Einsatzplanung eingegangen. Die Angreifer waren zum Teil von vorhergegangenen LEGIDA-Demonstrationen bekannt und man ging davon aus, dass es im Umfeld der Demonstration zu Störungen aus dieser Personengruppe kommen würde.

Aufgrund der schnellen, z.T. klandestinen Mobilisierung an spontan ausgewählten Orten kann die Polizei solche Vorgänge nicht komplett verhindern. Insbesondere wurde bemängelt, dass eine Zusammenarbeit mit linken zivilgesellschaftlichen Akteuren immer schwieriger wird, da die Aktionen aus dem autonomen Spektrum immer weniger kreativ und immer gewalttätiger werden. Letztendlich hat man abstrakt mit einer Reaktion auf die sich häufenden, der linken Szene zugeordneten Angriffe auf Parteibüros und Menschen durch die Autonomen gerechnet. Gleichzeitig ging die Polizei davon aus, dass ihre vorbeugende Anwesenheit in Connewitz Ausschreitungen provoziert hätte.

#dd2112


In Dresden dagegen war nach Aussage der Pressestelle zwischen 19:30 und 20:30 Uhr ausreichend Polizei vor Ort. Diese sei so positioniert gewesen, dass sie nicht sofort gesehen würde, da man nicht provozieren wollte. Die Planungen für einen Angriff durch Rechte waren nicht im Vorfeld bekannt und sind nicht in die Einsatzplanung eingeflossen. Die Pressestelle bewertete die Eskalationen in der zweiten Jahreshälfte insgesamt als eher spontan als geplant. Solche Ausbrüche könnten vermutlich nicht verhindert werden.




* PD Leipzig: Hr. Voigt / PD Dresden: Hr. Laske

Was ist in Zukunft zu erwarten?


Noch bleibt abzuwarten, wie die Aktion in Leipzig von der rechtsextremen Hoolszene bewertet wird. Dabei wird sicher einfließen, ob Täter zur Verantwortung gezogen werden können. Kurzfristig berauscht sich die Szene an den Angriffen auf alternative Viertel. Der Trend ist aber klar: Die koordinierte Gewalt in der politischen Auseinandersetzung nimmt zu.

Sie wird aus dem bürgerlichen Milieu nicht mehr geschlossen abgelehnt, so dass ein gesellschaftlicher Aufschrei sich auf die jeweils betroffenen politischen Gruppen beschränkt. Auch gibt es noch keine Mäßigungstendenzen, stattdessen nimmt die verbale Aufrüstung und Eskalation weiter zu. Das Vertrauen in polizeilichen Schutz nimmt ab.

Letztendlich müssen Gegenstrategien entwickelt werden, die eine schnelle und adäquate Reaktion möglich machen. Dabei muss es zum Einen darum gehen, die Angriffe zu verhindern. Zum Anderen aber darum, die Folgen für die Betroffenen abzumildern.

Nachtrag: Es ist natürlich richtig, dass die Polizei zwischen 18:30 und 19:00 bereits Kontakt mit Hools hatte und dass da vermutlich auch die späteren Angreifer von der Kamenzer Straße dabei waren. Beim nächsten Mal wird besser nachgefragt. Danke für den Hinweis in den Kommentaren.

3 Kommentare:

  1. Die Aussagen der Dresdner Polizei zur "nicht provokativen Positionierung" würde ich nicht so unhinterfragt stehen lassen. Meines Erachtens sind das Ausflüchte, um die - leider typische - fehlerhafte Einsatzplanung der Polizei in Dresden zu kaschieren.
    Wenn denn wirklich "ausreichend Polizei vor Ort" gewesen wäre, dann hätten sie auch aus Stellungen in Seitenstraßen die in dem Bericht zum 21.12. gut nachgezeichneten Aktionen der Nazihool-Gruppe mitbekommen und zeitnah eingreifen müssen. Das ist allerdings nicht geschehen. Und wenn man nun nicht die Theorie aufstellen will, die Polizei wäre zwar ausreichend da gewesen, hätte dann aber einfach weggeschaut, dann bleibt nur der Schluss, dass die vorhandene große Zahl an Polizeibeamten und Einsatzmittel einfach an der falschen Stelle aufgefahren wurden.

    Warum?
    Die entsprechenden Anhaltspunkte gab es ja zu Hauf: Bachmanns großspurige Ankündigung, sich die Neustadt zu holen, ergänzt durch eindeutige Aufrufe durch einschlägige Twitter- und FB-Accounts der dresdner Neonaziszene.
    Stattdessen hat sich die Polizei offenbar allein auf erwartete Störaktionen durch "Linke" auf die Pegida-Veranstaltung vorbereitet - so ist auch die vollkommen überzogene Einschränkung des Demonstrationsrechts auf stationäre Kundgebungen zu erklären.
    Für mich ist die einfachste Erklärung dafür, dass für die Polizei "der Feind" links steht, und Pegida weiterhin als eine Bewegung rechtschaffener besorgter Bürger angesehen wird. Abfällige und beleidigende Äußerungen von den eingesetzten Bereitschaftspolizist*innen gegenüber Protestierer*innen untermauern leider den Eindruck, dass es eine ziemliche ideologische Nähe von Teilen der Polizei mit den Positionen von Pegida gibt.

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    1. Ergänzung: was die Aussage der Polizeispressestelle in Dresden noch weiter ins Absurde führt, ist die Tatsache, dass die Polizei ja schon vor dem Angriff in der Neustadt wusste, dass diese Hooligangruppe unterwegs ist.
      Da hat man also um die 70 Nazis auf der Königsbrücker nördlich der Stauffenbergallee, kann die sogar kontrollieren, und dann denkt man sich offenbar: nach der Kontrolle werden die bestimmt ganz friedlich und ohne weitere Umstände direkt ans Königsufer laufen (vermutlich auch ganz geschickt und unauffällig an den Gegenprotesten vorbei) und lieb und friedlich sein. Haben sich bestimmt nur ganz zufällig bei der Anreise vertan...
      Bei solch einem Vorgehen wundert es auch nicht, dass die Polizei kurze danach für längere Zeit das AZ Conni umstellt und niemanden heraus- oder hinein lässt, weil in der Rudolf-Leonhardt-Straße ein paar Antifas kontrolliert werden müssen. Das ist also offenbar das, was sich Herr Laske unter Zurückhaltung und Vermeidung von Provokation versteht...

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  2. Das ist richtig und wurde nachgetragen. Es erscheint tatsächlich merkwürdig, dass die Polizei sich noch mehr Vorwarnzeit wünscht. Danke für den Kommentar.

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