Donnerstag, 12. November 2015

Analyse: Organisierte Rechtsextreme bei PEGIDA am Beispiel des 19.10.2015, Recherche


Ein Akif-Pirincci-freier Bericht zum PEGIDA-Jubiläum


0. Überblick


Man kann die Geschichte so schreiben: Am 19.10.2015 feierte die PEGIDA-Bewegung ihr einjähriges Straßenjubiläum. Vor der Veranstaltung sammeln sich hunderte gewaltbereite Neonazis aus dem Spektrum der Autonomen Nationalisten um daran teilzunehmen. Sie ziehen gemeinsam zur Veranstaltung, wobei sie immer wieder vermeintlich oder tatsächlich anders Denkende angreifen.  Kurz vor Ende der PEGIDA-Kundgebung ziehen diese Neonazis wieder los, um die Konfrontation mit Gegendemonstranten* zu suchen. Sie überfallen dabei Ansammlungen von Gegendemonstranten und sogar eine angemeldete Kundgebung, ohne dass die Polizei wirksam eingreift. Manchmal ist sie gar nicht vor Ort. Erst Stunden später beruhigt sich die Lage wieder.

Tatsächlich konzentrierte sich die Medienberichterstattung auf die Rede von Akif Pirincci. Medienvertreter glaubten dabei offenbar auch den Verlautbarungen der Polizei von 22 Uhr und 23:36 Uhr, die nichts von dem gewalttätigen Mob verraten, der zwischen 18 und 23 Uhr immer wieder zur Gefahr für Polizisten und Bürger wurde.


In diesem Blogeintrag wollen wir den Versuch unternehmen, die oben geschilderten Abläufe zu belegen. Dabei sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Rechtsextremen mindestens an diesem Tag ein Bestandteil von PEGIDA gewesen sind. Aus unserer Sicht macht sich jeder PEGIDA-Spaziergänger mit diesen Tätern und den Aussagen von Pirincci und Bachmann gemein.

Einen ersten Überblick über das Demonstrationsgeschehen am 19.10. vermitteln die Live-Ticker zweier Lokalzeitungen, der Dresdner Morgenpost und der Sächsischen Zeitung. Der an diesem Tag von Medien, Polizei und Gegendemonstranten verwendete Twitter-Hashtag war #1910dd. Ein weiterer Post in diesem Blog wird einen Überblick über die hier vorgestellten, punktuellen Rechercheergebnisse geben.

Nach diesem kurzen Einstieg kommen wir auch schon zur Dokumentation der Geschehnisse. Wir haben uns dabei auf eine Gruppe gemeinsam und koordiniert agierende Autonome Nationalisten und deren Mitläufer konzentriert. Es handelt sich um mehrere hundert Personen, die über den Abend verteilt immer wieder gemeinsam in Aktion getreten sind.

Als Quellen verwenden wir frei zugängliche Videos von Medien, die oben schon genannten Ticker, frei zur Verfügung gestellte Texte aus online-Ausgaben von Zeitungen und eigene Beobachtungen. Es sei jeweils auch auf die Kommentare unter den Artikeln und Videos verwiesen.

Uns ist klar, dass an diesem Tag die Gewalt nicht nur von der hier im Fokus stehenden Gruppe ausging. Wir wollen andere Geschehnisse nicht relativieren. Dieser Post soll aber drei Dinge aufzeigen:

  1. Organisierte Rechtsextreme nahmen an der PEGIDA-Versammlung teil. Es handelte sich um mindestens eine, mehr oder weniger geschlossene Gruppe, die Aktionen durchführte. Sie waren für jeden Teilnehmer erkennbar. 
  2. Diese Gruppe hat vor und nach der Kundgebung gezielt die Konfrontation mit anderen Personen gesucht. Man könnte sagen: Sie machten Jagd auf andere.
  3. Eine Abgrenzung von den Rechtsextremen fand nicht statt, weder durch bürgerliche PEGIDA-Teilnehmer, noch durch das Organisationsteam.


*Der gesamte Post verwendet das generische Maskulinum. Dabei sind in der Regel Menschen aller Gender gemeint. Eine Ausnahme bildet die Gruppe im Fokus der Recherche: Hier findet sich nur auf einem Video ein Hinweis (eine Frauenstimme ruft etwas), dass überhaupt eine nicht -männliche Person Teil der Gruppe war.

1. Anreise der "Nazihools"



Auf dem ersten Videoausschnitt ist zu sehen, wie eine geschlossene Gruppe rechtsextremer Hooligans sich dem PEGIDA-Veranstaltungsort über die Wilsdruffer Straße nähert. Dieser Zug war am Straßburger Platz gestartet und hatte sich dann über die Grunaer Straße bewegt. Die skandierte Parole "Hier marschiert der nationale Widerstand" lässt sich eindeutig dem rechtsextremen Spektrum zuordnen und lässt keinen Zweifel an der politischen Selbsteinordnung der Gruppe zu.


Video 1.
Ort: Wilsdruffer Straße zwischen Kulturpalast und Altmarkt
Zeit: 18:29 Uhr

2. Gewalt bei Anreise



Bei der Anreise kam es bereits mehrfach zu Böllerwürfen, Pöbeleien und Angriffen. Durch verschiedene Medien und die Ehrenamtlichen von "streetcoverage" wurde der Angriff auf einen Blockadeversuch in der Sophienstraße dokumentiert, zum Beispiel zu sehen in Video 2  und 3 (mit Werbung).



Video 2. 
Ort: Taschenberg 
Zeit: etwa 18:43 Uhr


Video 3. (bis Sekunde 26)
Ort: Taschenberg, kurz vor der Sophienstraße
Zeit: Etwa eine Minute nach Video 2.

Zwei Personen wurden zu diesem Zeitpunkt Zeugen wie erste Demonstranten von der Gewalt abgeschreckt nicht an mehr an Demonstrationen teilnehmen wollten ("Nein! Das reicht mir jetzt! Ich geh nach Hause!" - eine etwa 60-jährige Frau einem gleichaltrigen Mann). Es ist völlig unklar, zu welcher Veranstaltung die beiden wollten, macht aber deutlich, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der Mob eine Atmosphäre der Gewalt erzeugte, die es Bürgern unmöglich machte, ihre Rechte wahrzunehmen.

Im selben Zeitraum kam es auf der anderen Seite des Schlosses, zwischen Theaterplatz und Schloßplatz zu scheinbar wahllosen Angriffen anreisender PEGIDA-Anhänger auf Gegendemonstranten, deren angemeldete Veranstaltung nicht durch die Polizei abgeschirmt wurde.

Man beachte die Durchsagen der Polizei ("Guten Tag, hier spricht die Polizei aus Hannover. Bitte unterlassen Sie es Pyrotechnik zu werfen, hier sind Kinder und Unbeteiligte. Bitte unterlassen Sie es auch, andere Personen anzugreifen, denken Sie an die Familien und Kinder, die hier sind. Die Polizei wird gegebenenfalls den Schlagstock einsetzen. Unterlassen Sie das und halten Sie Abstand. Das war die Androhung von unmittelbarem Zwang. Danke für die Aufmerksamkeit." - so viel Lässigkeit hat die sächsische Polizei nicht.)

Dieses Video ist weniger aussagekräftig, da in der einsetzenden Dunkelheit das Geschehen nicht eindeutig verfolgt werden kann.



Video 4.
Ort: Zwischen Augustusbrücke, Schloßplatz und Theaterplatz
Zeit: etwa 18:30 bis 18:45 Uhr


3. Abreise



Dieses eindrückliche Video zeigt, wie viele junge, männliche, oft schwarz gekleidete Personen kurz vor Ende der PEGIDA-Kundgebung den Theaterplatz verlassen. Die Polizei hat deren Abreise nicht abgesichert. Das Geschehen in den nächsten Stunden zeigt, dass es vielen gewaltbereiten Personen offenbar nicht darum ging, noch vor dem zu erwarteten Stau am eigenen Auto zu sein.



Video 5.
Ort: Theaterplatz, Aufnahmerichtung: Zwinger/Zwingerpark
Zeit: etwa 20:50


4. Zwingerteich



Kurz darauf kommt es im Bereich Zwingerpark/ Am Zwingerteich und an der Devrientstraße zu Angriffen auf dort befindliche Gegendemonstranten, die die Abreise von PEGIDA-Anhängern Richtung Ostra-Allee blockieren wollten. Uns namentlich bekannte Zeugen sprechen von mindestens einem Verletzten (ausgeschlagener Zahn) dort. 

Gleicht man die Karte mit den Videos und Zeugenaussagen ab, wird deutlich, dass die in Video 5 zu sehenden Polizeifahrzeuge die letzte Polizeipräsenz zwischen den Gegendemonstranten und den abreisenden PEGIDA-Anhängern sind. Vor dem Landtag ist die Polizei zwar unter anderem mit Wasserwerfern stark vertreten, es kommt jedoch trotzdem zu minutenlangen gewalttätigen Auseinandersetzungen im Park. Einen kleinen Einblick in schlechter Qualität liefert Video 6.



Video 6.
Ort: Am Zwingerteich, ziemlich genau zwischen Ostra-Allee und Devrientstraße, Blickrichtung Devrientstraße/Theaterplatz
Zeit: unklar, aber vermutlich etwa 21:00-21:10 Uhr

5. Ostra-Allee



Etwa 200-250 Gegendemonstranten ziehen sich zu diesem Zeitpunkt langsam in Richtung Ostra-Allee zurück. Dabei kommt es zum Bau von Barrikaden, Polizeibeamte werden mit Gegenständen beworfen. Gleichzeitig werden die Gegendemonstranten von der Polizei sowohl Richtung Maxstraße, als auch Richtung Postplatz zurückgedrängt. Es kommt laut Zeugenaussagen und Sächsischer Zeitung immer wieder zu Angriffen von PEGIDA-Anhängern. Diese liefern sich nach dem Ausweichen der Gegendemonstranten dort Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Dies wurde zum Teil von ihnen selbst, zum Teil von Reportern der Sächsischen Zeitung gefilmt und hochgeladen (Videos 7 und 8). Video 7 verdient besondere Beachtung, da es chronologisch die verschiedenen Orte der Auseinandersetzungen verbindet. Es zeigt, dass offenbar die selbe Person im Bereich Taschenberg, Schloßplatz, Zwingerpark und dann Ostra-Allee zugegen war. In diesem Kontext belegt es, dass die Personen, die im Video 8 zu sehen sind, der PEGIDA-Anhängerschaft zugeordnet werden können.

Sie sind auf beiden Videos dabei zu sehen, wie sie sich über die Ostra-Allee, am Haus der Presse vorbei dem Postplatz nähern wollten, wo zu diesem Zeitpunkt eine angemeldete Gegenveranstaltung stattfand. Die Polizei hat ein Eindringen der PEGIDA-Anhänger über die Ostra-Allee verhindert, jedoch weder die Allee geräumt noch ein Einsickern der Hooligans in die umliegenden Straßen verhindert.**



Video 7. ab Zeitstempel 1:15
Ort: Ostra-Allee, später auch Postplatz/ Wilsdruffer Straße/ Am Wall
Zeit: Zwischen 21:20 und 21:35





Video 8.
Ort: Haus der Presse, Blickrichtung Ostra-Allee
Zeit: Wie Video 7.


** Die abweichende Formatierung ab hier tut uns Leid. Sie ist auf technische Schwächen von Blogger.com zurückzuführen.

6. Postplatzangriff, Bahnhof Mitte und "Besetzung des Geländes"



In einem engen zeitlichen Zusammenhang berichtet ein Reporter der Sächsischen Zeitung laut Ticker von einer Gruppe von mehreren Hundert Hooligans, die unbemerkt von der Polizei zum Bahnhof Mitte gezogen sind, und dort zwei Männer angegriffen haben.

Gleichzeitig verteilen sich mehrere Gruppen von PEGIDA-Anhängern im Bereich Theaterstraße und Hertha-Lindner-Straße. Zwei Zeugen berichteten uns, dass sie ihren Heimweg in Richtung Friedrichstadt mehrfach abgebrochen haben um zum Postplatz zurückzukehren, da sie um ihre Gesundheit fürchteten.

Bei der ersten Rückkehr wurde ihnen von einem Angriff durch 20-30 Hooligans auf die Veranstaltung berichtet. Auch dieser Zeuge ist uns bekannt. Die Polizei befindet sich zu diesem Zeitpunkt ausschließlich im Bereich Ostra-Allee. Die anderen Zugänge zum Postplatz sind komplett offen.

Nach diesem Angriff beschließen die Veranstalter, das Postplatzkonzert abzubrechen und mit den Teilnehmern unter Polizeischutz in Richtung des nun leeren Theaterplatzes zu ziehen. Jetzt nähert sich eine Gruppe von mehreren Hundert Hooligans über die Freiberger Straße dem Postplatz. Nur hektisches Eingreifen gerade eintreffender Polizeikräfte verhindert einen weiteren Angriff.

Öffentlich zugängliche Videos vom Postplatz gibt es nicht. Es gibt allerdings mehrere Medienberichte, die zahlreiche Zeugen aufführen:



7. Straßenschlacht Wilsdruffer Straße



Im Anschluss kommt es zu andauernden Auseinandersetzungen mit der Polizei auf der gesamten Länge der Wilsdruffer Straße. Einen Eindruck vermittelt Video 9.



Video 9.
Ort: Postplatz, Blickrichtung Altmarktgallerie/ Am Wall
Zeit: etwa 22:00 Uhr


Auch hier verblieben die Personen, gegen die sich der Polizeieinsatz richtet, vor Ort. Sie stellten damit für Abreisende der Gegenveranstaltung weiter eine Gefahr dar. Es kam zwar zum Abdrängen einiger Gruppen, diese machten im Nachgang jedoch an anderer Stelle weiter. Ein Vlogbeitrag der mittels Youtube-Suche einfach gefunden werden kann ("PEGIDA-Jubiläum - 19.10.2015 - Dresden - Vlog (Hinter den Kulissen"), dokumentiert weitere Angriffe im gesamten Altstadtbereich. Aufgrund der kommerziellen Ausrichtung des Vlogs wird er hier weder direkt verlinkt noch eingebettet. 

Abschließend noch das bemerkenswerte Statement des Polizeisprechers (Video 10).



Video 10.
Ort: Theaterplatz
Zeit: 23:36


Fazit


Durch Bildmaterial, Medien- und Zeugenberichte können wir sehr gut belegen, dass mehrere Hundert Gewalttäter des rechtsextremen Spektrums gemeinsam an der PEGIDA-Veranstaltung teilgenommen und im Vorfeld und Nachgang Gegendemonstranten und die Polizei angegriffen haben. Es drängt sich der Eindruck auf, dass dies geplant, vorbereitet und organisiert war.

Zwar können wir dies nicht lückenlos nachweisen, jedoch halten wir das durch die Quellen gezeichnete Lagebild für so dicht gewebt, dass kaum ein Zweifel an der Richtigkeit der behaupteten Zusammenhänge bestehen bleibt.



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