Dienstag, 17. November 2015

Analyse: Diskussion von Werner Patzelts Erklärungsansätzen - Teil 1: PEGIDA wurde der Dialog verweigert

Einleitung


Werner Patzelt, Professor für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden, hat sich schon sehr früh mit dem Phänomen PEGIDA auseinandergesetzt. Er erreichte damit eine beachtliche Medienpräsenz. Herr Patzelt* veröffentlicht außerdem in kurzen Abständen auf seinem eigenen Blog. Einen Überblick über die öffentlichen Äußerungen von Patzelt kann man sich mittels einer Internetsuchmaschine recht einfach verschaffen.**

Spätestens seit Dezember 2014, als er mit Fernsehinterviews in MDR und ZDF sehr große Reichweite erzielte, formiert sich Widerstand. Die Kritiker werfen Patzelt vor, er verharmlose die Gefährlichkeit von PEGIDA und die fremdenfeindlichen Auswüchse der Bewegung. Spätestens seit einem Interview mit der Jungen Freiheit, einer Wochenzeitung, die als Sprachrohr der Neuen Rechten dient, hat er sich für viele Akteure des liberalen und linken politischen Spektrums als Wissenschaftler und Beobachter von PEGIDA diskreditiert.

Nichtsdestotrotz muss anerkannt werden, dass Patzelt sich ein Bild von genau der gleichen Fragestellung, die diesen Blog umtreibt gemacht hat. Er hat eine Anzahl von Thesen entwickelt und weiterentwickelt. Auch versuchte er sich immer wieder an Lösungsvorschlägen. In einer Reihe von Blogbeiträgen soll hier den Thesen Patzelts nachgegangen, seine Ausgangsanalyse hinterfragt und die Nützlichkeit seiner Empfehlungen überprüft werden.

Dieser Beitrag kommt für die These: "PEGIDA wurde der Dialog verweigert" zu folgenden Schlüssen:

  1. PEGIDA wurde der  Dialog nicht verweigert. PEGIDA verweigerte den Dialog.
  2. PEGIDA wurde zu Recht als rechtspopulistische Bewegung wahrgenommen.
  3. PEGIDA als Dresdner Phänomen lässt möglicherweise auf die ausgesprochen konservative städtische Gesellschaft zurückführen. Diese hätte demnach eine Kristallisation eines gesamtostdeutschen Phänomens in der Stadt begünstigt.
Daraus sind zwei Problemfelder identifizierbar, die es zu überwinden gilt: Eine Auflösung von Partikularinteressen in der Gesamtgesellschaft findet in Demokratien nur über Dialog statt. Wie kann man diesen Herstellen, wenn der Partner ihn verweigert? Wie kann in einer strukturell konservativen Großstadt aus einer progressiven Haltung heraus die politische Auseinandersetzung geführt werden, ohne Gräben aufzureißen, aus denen dann rechtspopulistische bis rechtsextreme Positionen kriechen?

[Nachtrag] Video eines MDR-Beitrags eingefügt. Dieser beschreibt bereits für den 27.10. - also für die zweite PEGIDA-Versammlung - die Anwesenheit von Personen, die klar dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind.


* In diesem Blog wird auf die ständige Wiederholung von Titeln und Berufsbezeichnungen verzichtet. Dies gilt insbesondere für akademische Titel, die jederzeit den Eindruck erwecken, der Träger hätte eine größere Kompetenz als andere Menschen, die sich mit den gleichen Themen beschäftigen. Soweit relevant, wird wie in der ersten Zeile dieses Posts auf die Tätigkeit der Person eingegangen.

** Wer sich längere Internetrecherchen zu den hier dargestellten Abläufen sparen möchte, der sei auf die PEGIDA-Zeitleiste bei Netz-gegen-Nazis.de verwiesen. Die dortige Zusammenstellung ist leicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbar und die gründlichste ihrer Art. Die Presse aus Österreich hat ebenfalls eine Zeitleiste, die per Suchmaschine einfach zu finden ist. Aufgrund des deutschen Leistungsschutzrechts verweist dieser Blog nur wenn absolut nötig auf Verlagswebsites. 


Eine These von Werner Patzelt zu PEGIDA

Eine der Thesen Patzelts ist, dass PEGIDA nicht rechtsextrem sei. Er unterstellt jeder Person, die sich entsprechend äußert - egal ob Innenminister oder Gegendemonstrant - eine falsche Lagebeurteilung. Er behauptet, dass die "politischen Klasse und [die] Öffentlichkeit" (Zitat aus einem MDR-Interview vom 16.12.2014) alle Anhänger PEGIDAs als Nazis sehen würden.

Sich selbst würden diese Demonstranten allerdings als normale Bürger sehen, die begründete Sorgen formulierten. Viele der Demonstrierenden seien zwar rechts im politischen Spektrum zu verorten, aber nur wenige rechtsextrem. Diese lediglich "konservativen" Teilnehmer würden sich vorverurteilt sehen und in ihren Anliegen nicht ernst genommen fühlen.

Der Grund für den unterstellten Abwehrreflex sei, dass jede kritische Auseinandersetzung mit Fragen der Zuwanderung automatisch als rechtsextrem eingeordnet werden würde. Aus diesem Weltbild heraus verweigerten dementsprechend die "politische Klasse und die Öffentlichkeit" ihrerseits den Dialog. Es folgt die Bildung starrer Fronten.

Aus der Erfahrung heraus, auf der Straße eine Mehrheit zu repräsentieren, hinterfragten PEGIDA-Anhänger ihre Haltung nicht. Sie sähen sich im Recht und fühlen sich unterdrückt. Den stärkeren Zulauf bei den ersten PEGIDA-Veranstaltungen erklärt Patzelt mit dem großen Reservior an Konservativen in Dresden, die tendenziell eher eine Vielzahl kultureller Einflüsse kritisch bewerten würden.

Will man die These, die in diesem Post überprüft werden soll, auf einen Satz herunterbrechen, dann lautet sie: "PEGIDA wurde der Dialog verweigert, der legitimen demokratischen Akteuren zusteht, was zu einer Verstetigung und Radikalisierung einer konservativen Bewegung führte."

Die zentrale Frage lautet: "Wurde PEGIDA der Dialog verweigert?"

Beschreiben die Thesen die Entwicklung akkurat?


Zuerst einmal verwirrt der bis heute aufrecht erhaltene Erklärungsansatz von Herrn Patzelt. So wurde von Politikern immer wieder der Dialog mit PEGIDA gesucht und aufgenommen. Auch ein Totschweigen durch die Medien fand nicht statt. Es sei an Sigmar Gabriel erinnert , der als einer der ersten an einem Diskussionsforum mit PEGIDA-Anhängern teilnahm (23.01.2015). Aber auch diverse sächsische Minister (, bis hin zu Ministerpräsident Tillich (ab März 2015) versuchten, einen Dialog zu organisieren. Auch wurde von der Sächsischen Zeitung über eine Gruppe von sächsischen Landtags- und Bundestagsabgeordneten berichtet, die regelmäßig im Austausch mit den PEGIDA-Organisatoren seien (online am 09.03.2015).

Es steht auch ohne Zweifel fest, dass sich Mitglieder des Organisationsteams und Teilnehmer an den "Spaziergängen" bereits seit November 2014 immer wieder rassistisch und auf sonstige Weise gruppenbezogen menschenfeindlich äußerten. "Ausländer raus"-Rufe und die Verwendung von Kampfrethorik rechtspopulistischer Bewegungen ("Überfremdung", "Islamisierung") sind da eindeutig. Dabei wurden der Vorwurf des Rechtsextremismus auch von anderen gesellschaftlichen Akteuren zurückgewiesen (z.B. Frank Richter bei Maybrit Illner am 11.12.2014). Auch die Anwesenheit von Neonazis ist bereits am 27.10.2014, also bei der zweiten PEGIDA-Demo berichtet worden:



Diese Äußerungen tut Patzelt als "Dummheiten" ab. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass spätestens ab Dezember 2014 die Medien kollektiv als "Lügenpresse" bezeichnet wurden. Es waren keine Dummheiten einzelner, wie Patzelt behauptet, sondern Sprechchöre, die von einem Großteil der Versammelten ausgingen. Eine klarere Ablehnung eines Dialogs ist schwer vorstellbar.***

Das Gleiche gilt für "Volksverräter"-Sprechchöre, die Politiker aller Parteien bezeichnen. Beide Schlagworte lassen sich auf den Sprachgebrauch der NSdAP zurückführen. 

Gleichzeitig (Dezember 2014) warben aber sowohl Sigmar Gabriel (SPD), als auch Volker Kauder (CDU) für einen Dialog mit PEGIDA. Insbesondere Peter Gauland (AfD) trat offensiv für eine Integration der Thesen PEGIDAs in das Programm seiner Partei ein.

Die Dialogangebote für PEGIDA gingen sogar so weit, dass sich die Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung über ihren eigentlichen Bildungsauftrag hinweg sogar bereit erklärte, die Infrastruktur und Kommunikationsmittel der Anstalt öffentlichen Rechts für eine Pressekonferenz zur Verfügung zu stellen. Diese Entscheidung wurde vom Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung als "einseitig" und "parteiisch" kritisiert. Die Landeszentrale überschreite so "eine rote Linie".

Laut Grundgesetz wirken in Deutschland die Parteien an der politischen Willensbildung mit - Art.21(1)GG. Jedem einzelnen PEGIDA-Anhänger stand dies immer frei. Die einzige Ausnahme, die das Grundgesetz macht, bezieht sich auf Parteien, deren Anhänger ihrem Verhalten nach darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen (ebenda (2)). 

Das heißt: Allen nicht offen rechtsextremistischen Anhängern von PEGIDA stand es frei, eine Partei zu gründen oder in andere Parteien einzutreten, um an der politischen Willensbildung teilzuhaben. Diese Option wurde offen abgelehnt und verweigert. 

Auch die Rechte zur Demonstrations- und Meinungsfreiheit sind gegenüber PEGIDA nicht eingeschränkt.

Zuletzt stellt sich die Frage, warum die von Herrn Patzelt wahrgenommene stetige Radikalisierung nicht auch bei mehreren Zehntausend Anti-TTIP-Demonstranten vom 10.10.2015 geschehen ist, die tatsächlich nur etwa 24 Stunden Medienaufmerksamkeit und keine Dialogangebote der Adressaten ihres Protestes erhielten. Diese wurden von Sigmar Gabriel übrigens als "reich und hysterisch", sowie antiaufklärerisch bezeichnet.

*** Eine Ausnahme bildet zu diesem Zeitpunk das Interview von Lutz Bachmann mit der schon erwähnten Jungen Freiheit.

Helfen die Thesen beim Verständnis des Dresdener Sonderfalls?


Patzelt beschreibt unter anderem im Interview mit dem Morgenmagazin des ZDF (23.12.2014) PEGIDA nicht als "Dresdner" Phänomen, sondern als die "Verdichtung eines ostdeutschen Phänomens" in Dresden. "Warum Dresden?" wird also vorerst beantwortet mit einem: Es geht nicht nur um Dresden. Er schiebt allerdings hinterher, dass Dresden, als die konservativste ostdeutsche Großstadt quasi das natürliche Habitat einer solchen Bewegung sei.

Dies ist insofern wichtig, als dass die Beweggründe für PEGIDA zwar überall in Ostdeutschland vorhanden sein sollen, aber nur hier auf einen konservativ-bürgerlichen Nährboden trafen. Allerdings muss auch festgestellt werden, dass die PEGIDA-Organisatoren in Dresden eher mehr als weniger Dialoganbebote bekamen, als dies in anderen deutschen Städten der Fall gewesen wäre.

Fazit


Es ist wahr, dass PEGIDA sich schon sehr früh mit dem Vorwurf auseinandersetzen musste, rechtsextrem zu sein. Gleichzeitig deutet vieles darauf hin, dass die Bewegung es zu großen Teilen auch ist, oder zumindest den Schulterschluss mit Rechtsextremen übt.

Trotzdem versuchten Politiker immer wieder, in einen dauerhaften Dialog zu treten. Es lässt sich nicht erkennen, dass objektiv eine Dialogverweigerung stattfand. Jenseits von Gegendemonstrationen wurde PEGIDA erst im Dezember 2014 rechtsextrem genannt. Dies ging jedoch Hand in Hand mit Dialogangeboten zahlreicher gesellschaftlicher Akteure.

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass diese These von Werner Patzelt nicht zutrifft. Sie hilft allerdings ein wenig beim Verständnis des Dresdner Sonderfalls, wenn von Dresdens als der "konservativsten Stadt Ostdeutschlands" die Rede ist. Dieser Befund ist leider nicht besonders originell und bietet auch keinen Ansatzpunkt für zivilgesellschaftlichen Gegenwind.

Auch wenn in pluralistischen, demokratischen Gesellschaften Probleme im Dialog angegangen werden müssen, stellt sich für eine Auflösung des "Dresdner Bruches" mit PEGIDA ein Problem dar: Der Dialog wird offenbar vom Partner verweigert. Dieses Problem muss gedanklich und praktisch angegangen werden.

1 Kommentar:

  1. Es wäre schön, wenn ihr etwas mehr verlinken könntet, z.B. auf die Thesen von Prof. Patzelt auf die ihr euch bezieht oder auf Gesetzestexte. Es heißt nicht umsonst "Web". ;-)

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